„Memory Wars“: Doku über Elizabeth Loftus und das Thema Falscherinnerungen neu im Kino

(Lesedauer ca. 8 Minuten)

Im September startet der Dokumentarfilm

Memory Wars – Elizabeth Loftus und die Macht der Erinnerung

von Hendrik Löbbert in Deutschland.

https://mindjazz-pictures.de/filme/memory-wars/

Elizabeth Loftus zählt zu den weltweit einflussreichsten Psychologinnen und erforscht seit den 1970er-Jahren die Zuverlässigkeit menschlicher Erinnerung. Ihre Erkenntnisse prägen spektakuläre Gerichtsverfahren – etwa im Fall Michael Jackson oder Harvey Weinstein – und stellen den Wahrheitsgehalt von Zeugenaussagen infrage.

Die Dokumentation [zirka 90 Minuten, Englisch mit deutschen Untertiteln] beleuchtet anhand ihrer Arbeit das Spannungsfeld zwischen Erinnerung, Wahrheit und Gerechtigkeit.

Zum Auftakt gibt es eine Kinotour mit Gästen:

  • 7. September, 19 Uhr: Köln (Odeon)

Mit Hendrik Löbbert und Dr. Julia Shaw

  • 8. September, 20 Uhr: Hamburg (Zeise)

Mit Hendrik Löbbert und Prof. Hans J. Markowitsch

Mit Hendrik Löbbert

Mit Hendrik Löbbert, Elena Ebner, Prof. Aileen Oeberst

Mit Hendrik Löbbert und Prof. Elsa Gewehr

Wir verlosen dreimal zwei Karten für eine beliebige Vorstellung – Name und Postanschrift im Kommentarfeld hinterlassen (wird nicht veröffentlicht).

Außerdem sprachen wir mit Regisseur Hendrik Löbbert über den Film:

https://www.dokfest-muenchen.de/people/760

Bernd Harder: Vor zwei Jahren schrieb die Süddeutsche Zeitung: „Die Entscheidung in den Memory Wars zwischen Gedächtnisforschern und Klinikern ist vor Jahrzehnten gefallen, und sie steht bis heute, eigentlich. Doch nun erlebt der Glaube an unterdrückte traumatische Erinnerungen eine Wiederauferstehung.“

Tatsächlich sehen 20 Prozent der Psychotherapeuten in Deutschland es explizit als ihre Aufgabe an, angeblich verdrängte Erinnerungen aufzudecken. Gegenwärtig entstehe sogar „ein Nährboden für die Ausbildung von Scheinerinnerungen, die sowohl in der Psychotherapie als auch in Strafverfahren Leiden verursachen“, warnen die Rechtspsychologen Susanna Niehaus und Andreas Krause.

War Ihnen bewusst, dass Ihr Film „Memory Wars“ bei der Uraufführung dermaßen aktuell sein würde, als sie 2020 damit begonnen haben?

Hendrik Löbbert: So klar war mir das nicht. Ich kenne die neue Wissenschaftsfeindlichkeit in den USA und anderen Teilen der Welt, und dass da auch etwas wiederkehrt, was es in den 1990ern schon mal gab, aber die Situation in Deutschland speziell zum Thema „False Memories“ habe ich nicht verfolgt – was auch daran liegt, dass ich seit einiger Zeit in Schweden lebe.

Wundern tut mich diese Polarisierung allerdings nicht. Als wir 2016 die Doku „Das getäuschte Gedächtnis. Falsche Erinnerungen vor Gericht“ für 3sat drehten, ist mir schon aufgefallen, dass es da zwei Positionen gibt, die sich praktisch unversöhnlich gegenüberstehen. Angefragte Personen, die die Möglichkeit von Falscherinnerungen, vor allem im Zusammenhang mit sexualisiertem Missbrauch, ablehnen, standen unserem Filmvorhaben eher skeptisch gegenüber. Dabei ist es mein Anliegen, die Diskussion untereinander zu ermöglichen – auch jetzt mit dem neuen Film.

Gerade bei schweren gesellschaftlichen Debatten müssen wir den Zweifel mitdenken, was in einer liberalen Gesellschaft letztendlich auch ein Rechtsgut ist.

https://www.youtube.com/watch?v=jVVYxM53GAY

Stattdessen gibt es in Deutschland eine Debatte, die darauf hinausläuft, wissenschaftlich fundierte Methoden der Glaubhaftigkeitsbegutachtung bei Sexualstrafverfahren durch eine Art Plausibilitätseinschätzung zu ersetzen. Das dürfte so ziemlich das Gegenteil von dem sein, was Sie und Ihre Protagonistin Elizabeth Loftus vertreten.

Immerhin trat Frau Loftus beim Prozess gegen den Sexualstraftäter Harvey Weinstein auf und sprach dort über verzerrte oder falsche Erinnerungen – im Grunde zugunsten des Angeklagten. Warum eigentlich?

Das habe ich mich auch oft vor und während der Dreharbeiten gefragt. Letztendlich ist die Antwort einfacher, als man glaubt: Die Wissenschaft ist ihr Leben. Auch die Causa Weinstein muss man aus dieser Perspektive heraus betrachten.

Erst hat Elizabeth ja versucht, eine Kollegin zu empfehlen, weil sie ahnte, was da auf sie zukommen würde. Aber als die Verteidigung nochmal auf sie zukam, sagte sie zu. Sie hätte es als feige empfunden, wenn sie abgelehnt hätte. Im Kern ging es ihr darum, über ihr Lebenswerk und die Breite ihrer Arbeit zu sprechen – nicht über konkrete Aussagen der Zeuginnen, der Anklage oder der Verteidigung.

Ich habe den Eindruck, Elizabeth versteht die Kritik daran gar nicht so richtig, weil sie ihren Auftritt im Gerichtssaal als Dienst an der Wissenschaft betrachtet hat und nicht als Entlastung für Harvey Weinstein.

Nichtsdestotrotz gibt das all jenen Munition, die die wissenschaftliche Erforschung von Falscherinnerungen für eine Täterschutzstrategie halten. Ein Vorwurf, der mit einiger Sicherheit auch Sie treffen wird.

Das kann passieren, dessen bin ich mir bewusst. Natürlich sehe ich mich überhaupt nicht so, selbstverständlich will ich keine Täter schützen. Aber ich kann nachvollziehen, dass der Zweifel an den Erinnerungen von Opfern auch Wut auslöst. Der Schritt in die Öffentlichkeit ist für jegliche Opfer – und besonders von sexueller Gewalt – extrem schwer und mutig. Und wenn ihnen dann nicht geglaubt wird, weil die Fakten sich anders darstellen, ist das ein Schlag ins Gesicht. Das verstehe ich.

Aber neben Harvey Weinstein gibt es eben auch andere Fälle, zum Beispiel den Prozess um die Missbrauchsvorwürfe an der McMartin-Vorschule in Kalifornien, bei dem alle Angeklagten freigesprochen wurden. Hierzu hatte Elizabeth forensisch-psychologische Gutachten erstellt.

Ich denke, „Memory Wars“ stellt sich nicht auf eine Seite der Diskussion, sondern macht ein Gesprächsangebot. Es geht um verschiedene Aspekte einer Wahrheitsdiskussion, entlangerzählt an Fällen wie Weinstein oder Eileen Franklin.

https://mindjazz-pictures.de/filme/memory-wars/

Auch das berühmte „Lost in the Mall“-Experiment von Elizabeth Loftus dürfte seinen Platz in dem Film haben – eine Erinnerungsstudie, die gerade in jüngerer Zeit wieder sowohl positiv repliziert als auch massiv angegriffen wird.

Ja. Im Film lassen sich die wesentlichen Aspekte aber nur andeuten. Es geht vor allem darum, was dieses Experiment in der Fachwelt ausgelöst hat und dass Kontroversen zum Wesen der Wissenschaft gehören. Im Idealfall werden diese Auseinandersetzungen offen und fair ausgetragen.

Das wünsche ich mir auch für die Diskussion um unseren Film, und um das anzustoßen, haben wir in Köln, Hamburg, Frankfurt, München und Berlin Filmgespräche mit namhaften Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geplant. Themen sind für mich als Filmemacher immer dann relevant, wenn sie auf irgendeine Weise unbequem oder kontrovers sind und wenn sich mir selbst nicht auf Anhieb erschließt, auf welcher Seite ich stehe oder ob es vielleicht ambivalenter ist.

Dann kann ich etwas zur Klärung beitragen oder zumindest Anreize liefern, um darüber nachzudenken.

Loftus spielte bereits in der besagten 3sat-Doku „Das getäuschte Gedächtnis“ von 2016 mit. Anscheinend haben Person und Thema Sie nicht mehr losgelassen?

Wenn man mit Elizabeth Loftus zu tun hat, merkt man natürlich schnell, dass sie viel mehr zu erzählen hat als bloß ein paar Statements für eine Kurzdoku. Bald nach dem Dreh nahm ich wieder Kontakt mit ihr auf, und wir sprachen über einen längeren Zeitraum regelmäßig via Skype über bestimmte Fälle und Fragestellungen. Anfang 2020 kam der Impuls, das Ganze als Filmprojekt anzugehen. Dieses Jahr wurde „Memory Wars“ dann fertig.

https://www.youtube.com/watch?v=KqOKHYPqFvQ

Fünf Jahre sind eine lange Zeit. Wie würden Sie Ihren Film beschreiben? Ist das eine Art filmisches Denkmal für Elizabeth Loftus, laut NZZ immerhin „eine der wichtigsten Psychologinnen des 20. Jahrhunderts“?

Nein, ein Denkmal zu bauen, sehe ich überhaupt nicht als meine Aufgabe. Trotzdem habe ich über die Jahre eine enge persönliche Verbindung zu Elizabeth aufgebaut. Das ist vielleicht einer der Unterschiede zur Reportage, dass es eine persönliche Nähe zu den Protagonisten geben kann oder sogar muss.

Aber das heißt natürlich nicht, dass ich zum Sprachrohr ihrer Weltsicht werde oder ein Vermächtnis machen will. „Memory Wars“ ist eine Auseinandersetzung mit Wahrheit und Realität. Und ich habe mich für eine Protagonistin entschieden, die selbst unterschiedliche Perspektiven einnimmt in dem Film: Wissenschaftlerin, Tochter, Expertin und ein Stück weit auch selbst „Angeklagte“ im Zeugenstand.

Ich glaube, man kann aus diesen unterschiedlichen Blickwinkeln ein gutes Bild bekommen von dem, was verhandelt wird, wenn wir von Wahrheit sprechen. Und das ist manchmal kaum auszuhalten. Denn natürlich gibt es eine enorme Dunkelziffer an unentdecktem Missbrauch. Rassistische Polizeigewalt ist eine Realität, die sehr viele ständig erleben. Wenn wir dann vor Gericht im Einzelfall den Zweifel mitdenken, ist das erstmal ein Affront für die Opfer.

Aber ich glaube, wenn wir dieses Hinterfragen nicht selbst mitdenken, dann überlassen wir das den falschen Leuten und spielen zum Beispiel dem rechten Populismus in die Karten.

Zum Weiterlesen:

Titelfoto: Hajo Schomerus

Kommentare

5 Antworten zu „„Memory Wars“: Doku über Elizabeth Loftus und das Thema Falscherinnerungen neu im Kino“

  1. Sebastian

    Julia Shaw ist vom 05. September bis 17. Oktober anscheinend auch mit ihrem neuen Buch auf Tour in Deutschland …

    https://www.instagram.com/p/DNYPx48Ir1O/

    Liz Wieskerstrauch fände ich zwar auch ziemlich spannend als Gast, aber die Auswahl ist auch okay 🙂

  2. Ina Krüger

    Leider wurde mein Kommentar nicht angezeigt. Ein Versehen ??

  3. Bernd Harder

    @Ina Krüger:

    Die Kommentare zur Verlosung werden nicht angezeigt.

  4. Bernd Harder

    Vielen Dank für die zahlreiche Teilnahme an der Verlosung.

    Die gezogenen Gewinner haben wir heute benachrichtigt.

  5. Bernd Harder

    Plötzlich kommen bei den Teilnehmern Erinnerungen an etwas hoch, das nie passiert ist. Was George Franklin damals befreite, ist heute als „False Memory Syndrom“ bekannt, aber längst nicht so weitverbreitet wie Freuds „Repressed Memory Syndrom“, was offenbar gut zu der Opferrolle passt, die sich einige Personen gern aneignen und die sich medial ausschlachten lässt. Dabei hat Loftus auch hier festgestellt: „Es gab keine glaubwürdigen wissenschaftlichen Beweise für diese Idee der massiven Verdrängung.“ Freud verließ sich lediglich auf die Dinge, die ihm Patienten erzählten. Loftus unterscheidet somit zwischen „Happening Truth“ und „Story Truth“: das reale Geschehen und die Geschichte, die sich Menschen selbst erzählen, um sich besser zu fühlen, auch wenn sie nicht stimmt […] Man wünscht sich, ihre psychologische Expertise würde noch viel weitere Kreise ziehen, um in einer Welt voller Fake News endlich wieder der Stimme der Vernunft Gehör zu verschaffen.

    https://www.welt.de/kultur/plus68c0002a4ac77774b91e9c60/Memory-Wars-Und-ploetzlich-kam-die-Erinnerung-an-den-Mord.html

    https://www.ndr.de/kultur/film/tipps/memory-wars-erinnerungsgrenzen,memorywars-100.html

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