Skeptiker, Vampirjäger und der Aberglaube gestern und heute

(Lesedauer ca. 5 Minuten)

Skeptix soll natürlich auch Spaß machen und Menschen zusammenbringen. Deshalb gibt es immer mal wieder solche Nerdtalks, wie ihn Sebastian Bartoschek diese Woche aufgelegt hat:

https://www.youtube.com/watch?v=kUabJVviMo0

Die Skeptix-Mitglieder sprachen über Vampirstreifen, die alten Hammer-Studiosund das „Nosferatu“-Remake von Robert Eggers. Was Sebastian von dem Film hält, kann man auch bei den Ruhrbaronen nachlesen.

Interessant, was der österreichische Theater- und Literaturkritiker Hermann Bahr († 15. Januar 1934) über die Krisenzeit schrieb, in welcher der erste „Nosferatu“ von 1922 entstand:

Niemals war eine Zeit von solchem Entsetzen geschüttelt, von solchem Todesgrauen. Niemals war die Welt so grabesstumm. Niemals war der Mensch so klein. Niemals war ihm so bang. Niemals war Freude so fern und Freiheit so tot.

Da schreit die Not jetzt auf: der Mensch schreit nach seiner Seele, die ganze Zeit wird ein einziger Notschrei. Auch die Kunst schreit mit, in die tiefe Finsternis hinein, sie schreit um Hilfe, sie schreit nach dem Geist: das ist der Expressionismus.

„In jeder Krise“, folgert daraus der renommierte Filmkritiker Georg Seeßlen, „erscheint ein neuer Nosferatu“. Bei epd-film schreibt er:

Wenn es jetzt einen neuen Nosferatu gibt, weiß man zumindest, dass die Zeit der gemütlichen Kaminfeuer-Vampire vorbei ist.

Es scheint so.

Der Psychologe Stephan Grünwald spricht in der Welt von „Komplexitätsmüdigkeit“. Die Sehnsucht nach simplen und schnellen Lösungen wachse – was wiederum Menschen anfälliger für Esoterik und Verschwörungsmythen macht. Allerdings konstatiert Grünwald auch eine „gestaute Bewegungsenergie“:

Es gibt eine große Sehnsucht, diese Energie zu transformieren, Selbstwirksamkeit, Sinn und Gemeinschaft zu erleben.

Deshalb lädt die Kriminalpsychologin Lydia Benecke (Skeptix-Mitglied) in diesem Jahr wieder zum WTF nach Leipzig ein. Am 8. und 9. Juni geht es im Kupfersaal unter anderem um das Thema Vampire, etwa um „Draculas Burgen“ oder das „Liber Vampirorum“.

Stoff für eine gewogen-skeptische Betrachtung des Vampir-Mythos gibt es genug. Im aktuellen P.M.-Magazin (1/25) erzählt der Archäologe Daniel Nösler von der Jagd nach den Untoten in der Archäologie.

Ein Auszug:

P.M.: Bis wann glaubten die Menschen denn noch an Wiederkehrer aus dem Jenseits?

Nösler: Der jüngste Fall, an dem ich gearbeitet habe, war die sogenannte „Rote Lena“, Anna Marlene Princk, eine Giftmörderin. Sie starb am 31. Oktober 1842, durch das Schwert des Scharfrichters, nachdem sie zusammen mit ihrem jüngeren Geliebten ihren Ehemann mit Arsen vergiftet hatte.

Ihre Knochen haben wir vor vier Jahren gleich neben dem Richthügel bei Ohrensen gefunden. Der abgeschlagene Kopf lag aber weit weg vom Hals, bei den Füßen, damit sie ihn sich nicht wiederholen und aus dem Grab heraus Rache nehmen kann.

Außerdem hatte man den Sarg mit größeren Steinen beschwert, um ein Wiederkehren der Toten zu verhindern.

Darüber gibt es auch eine ZDF-Doku, an der Daniel Nösler und Lydia Benecke mitwirkten:

https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x-history/moerderische-frauen—raetselhafte-faelle-der-geschichte-100.html

P.M.: 1842 ist ja noch gar nicht so lange her.

Nösler: Das stimmt – und in einigen Gegenden Europas ist es heute immer noch gängige Praxis, Vorkehrungsmaßnahmen zu treffen, wenn ein Verstorbener nicht ganz geheuer erscheint.

Einen besonders gut dokumentierten Fall kennen wir aus den frühen 2000er-Jahren, aus dem walachischen Dorf Marotinu de Sus. Gheorghe Marinescu hatte damals seinen Schwager Petre Toma im Verdacht, ein Strigoi zu sein, ein Untoter, und nachts seine Nichte in furchtbaren Alpträumen heimzusuchen.

Zusammen mit seinen Freunden grub er – reichlich angetrunken – seinen Schwager wieder aus, um dessen Herz zu entnehmen. Um die Rippen aufzubrechen, benutzten sie eine Mistforke. Das Herz haben sie dann an einem Kreuzweg verbrannt und die Asche Petre Tomas Tochter zu trinken gegeben. Angeblich hat es gewirkt, sie konnte danach wieder ruhig schlafen.

Als ich in Rumänien war, habe ich mit Frauen gesprochen, die auch heute noch die Toten mit Nadeln behandeln, um ihre Rückkehr zu verhindern. Wir sind zwar die erste Generation, die mehrheitlich nicht mehr an Untote glaubt. Aber wie man an dem Beispiel aus Rumänien sieht: Ganz verschwunden sind der Aberglaube und die Bestattungsriten nicht.

Und schon immer gab es Zeitgenossen, die sich gegen den Aberglauben engagierten – so wie zuzeiten des ersten Vampirhypes Mitte des 18. Jahrhunderts in Osteuropa der niederländische Mediziner Gerard van Swieten. Er gilt als reales Vorbild für die Roman- und Filmfiguren Abraham van Helsing („Dracula“) und Prof. Eberhart von Franz („Nosferatu“):

https://www.youtube.com/watch?v=Lg4hAQmI6rs

Maria Theresia schickte Gerard van Swieten, ihren Leibarzt, los, um mit dem Aberglauben aufzuräumen. Van Swieten untersuchte die Leichen aufs Gründlichste und kam zu der Schlussfolgerung, dass die unerwartet langsame Verwesung der Leichen auf natürliche Ursachen wie Temperatur, Bodenbeschaffenheit und Krankheiten der Verstorbenen zurückzuführen sei,

beschreibt das ZDF sein Wirken.

Heute dreht sich der „Aberglaube“ eher um die Heilsversprechen der Alternativmedizin, Scharlatanerieprodukte, Verschwörungstheorien und Fake News, und einen Vampirhype gibt’s allenfalls im Kino.

Beides lohnt die Beschäftigung.

Weiter damit geht’s zum Beispiel am 16. Januar bei Skeptics in the Pub Köln. Dort spricht Sebastian Bartoschek über „Wissenschaft und Folkhorror“ – live und bei Youtube.

Quellen:

Titelfoto: (© Jan-Hermann Janssen)


Kommentare

Eine Antwort zu „Skeptiker, Vampirjäger und der Aberglaube gestern und heute“

  1. Michael Fischer

    Im viktorianischen Zeitalter wurde der Vampir offenbar die geläufige Metapher für – den Impfarzt!

    So warnte 1881 ein Flugblatt mit dem Titel „The Vaccination Vampire“ vor der „allumfassenden Verpestung“, die der Impfarzt dem „reinen Kindelein“ beibringe.

    „Die makabre Sexualität des Vampirs dramatisierte die Angst, dass der Akt des Impfens auch etwas Sexuelles habe, eine Angst, die noch verstärkt wurde, als sich durch die Arm-zu-Arm-Impfung Geschlechtskrankheiten ausbreiteten.“

    (aus: Eula Biss [aber Vorsicht – man beachte den Nachnamen!]: „Über das Impfen“)

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