„The Final Experiment“ – Für die Wahrheit ans Ende der Welt

(Lesedauer ca. 6 Minuten)

von Mirko Gutjahr

„Die Flat Earth Society hat Anhänger rund um den Globus“ – ein ironischer Satz, der im Internet längst zum Meme geworden ist. Doch was viele bloß für einen Witz halten, ist für eine hartnäckige Gruppe von Menschen der pure Ernst: Sie sind überzeugt, dass die Erde keine Kugel (oder genauer: kein Rotationsellipsoid) ist. Sie halten sie für eine flache Scheibe. Trotz jahrtausendealter Beweise für die ellipsoide Form – von Eratosthenes’ präziser Berechnung des Erdumfangs im 3. Jahrhundert v. Chr. bis hin zur modernen Satellitenfotografie – und der Tatsache, dass entgegen landläufiger Vorstellung auch im Mittelalter der Glaube an eine flache Erde nicht verbreitet war, lebt der Mythos der flachen Erde heute wieder auf. Im 19. und 20. Jahrhundert feierte diese Vorstellung eine beunruhigende Renaissance, und bis heute gibt es Menschen, die der Meinung sind, wir alle seien Opfer einer gigantischen Verschwörung, die die wahre Form der Erde verheimlichen will.

Die Flat Earth Society, die sich als zentrale Gruppierung der Bewegung versteht, hat nach eigenen Angaben seit 2009 wieder deutlich an Dynamik gewonnen. Aber was passiert, wenn man hartgesottene Mitglieder dieser Gruppierung mit der Realität konfrontiert und ihnen vor Augen führt, dass die Erde keine Scheibe sein kann? Oder haben die Flacherdler am Ende des Tages Recht? Kann man die Debatte beenden? Diese Fragen trieben den evangelikalen Pastor Will Duffy anscheinend so sehr um, dass er das Projekt The Final Experiment (TFE) ins Leben rief. Das kommunizierte Ziel: Den ultimativen Beweis für oder gegen das Modell der flachen Erde zu liefern.

Eine Reise ans Ende der Welt

Das Weltbild der Flat Earth Society wirft eine Menge Fragen auf. Die wichtigste: Wie stellen sich Flat Earther die Geographie der Weltenscheibe vor? Das gängige Modell sieht den Nordpol als Mittelpunkt einer runden Scheibe, über der sich die Sonne auf einer kreisförmigen Bahn bewegt. Die Antarktis stellt allerdings im Modell der Flat Earther einen riesigen Eisring dar, der die Weltmeere umgibt und die Scheibe begrenzt – sie bildet eine angeblich unüberwindliche Eismauer und kann oder darf nicht bereist werden. Um die Geheimnisse der Antarktis und die Möglichkeiten, sie zu bereisen, ranken sich in den Kreisen der Flacherdler unzählige Verschwörungsmythen. Duffy wollte sich davon aber nicht abhalten lassen und machte sowohl überzeugten Flat Earthern als auch der oft als „Globeheads“ verspotteten Gegenseite ein Angebot: Eine Expedition in die Antarktis, mit der ein für alle Mal geprüft werden kann, ob das Modell der Realität standhält.

Er lud 24 Flat-Earth-Anhänger:innen sowie ebenso viele Vertreter der „Kugel-Theorie“ auf diese Reise ein. Unter ihnen sind einige der bekanntesten YouTuber, die sich mit dem Thema befassen: Aus der Flat-Earth-Szene wurden unter anderem Dave Weiss („FlatEarthDave“), Nathan Oakley, Mark Sargent (der 2018 durch die Netflix-Doku Behind the Curve [Deutsch „Unter dem Tellerrand“] bekannt wurde), Eric Dubay, Austin Whitsitt („Witsit Gets It“) und Jeran Campanella („Jeranism“) eingeladen. Aus dem Lager derer, die gegen sie argumentieren, standen unter anderem Dave Farina („Professor Dave Explains“) und Daniel Rourke („SciManDan“) auf der Liste. Doch die Begeisterung bei den Flacherdlern hielt sich in Grenzen – nach vielen internen Debatten und Streitereien nahmen nur drei die Einladung an: die YouTuber Jeranism, Sean Griffin („KingdomInContext“) und Witsit. Die Gegenseite war mit immerhin elf Teilnehmer:innen dabei, einige reisten für einen Selbstkostenpreis von 31.495 USD mit. Die Mission: Zu beweisen, dass man am Südpol nicht etwa an eine unüberwindbare Eiswand stößt, sondern auf einen Ort, an dem im Sommer die Sonne 24 Stunden lang sichtbar bleibt – ein Phänomen, das vollkommen ausgeschlossen wäre, sollte das Modell der Flat Earther richtig sein.

Anfang Dezember 2024 machte sich die Gruppe schließlich auf den Weg und erreichte das Union Glacier Camp, eine Antarktis-Forschungsstation etwa viereinhalb Flugstunden von Chile entfernt. Die Spannung war greifbar.

Der Moment der Wahrheit

Am 16. Dezember 2024 geschah das Unerwartete: Jeranism, eine der prominentesten Stimmen der Flat-Earth-Bewegung, gestand im Youtube-Livestream ein, dass er die Sonne tatsächlich 24 Stunden am Himmel gesehen hatte – und zwar auf einer gegen den Uhrzeigersinn verlaufenden Kreisbahn, genau wie von den Vertretern der Gegenseite behauptet. Diese beiden Beobachtungen widersprechen fundamental dem Modell der flachen Erde, das Jeranism belegen wollte. „Manchmal liegt man falsch im Leben“, gab er zerknirscht zu und ergänzte: „Ich habe ehrlich geglaubt, dass es keine 24-Stunden-Sonne gibt. Jetzt glaube ich ehrlich, dass es sie gibt.“1

Sein Eingeständnis schlug hohe Wellen, doch die eigentliche Herausforderung steht ihm noch bevor: Wird er die übrigen Anhänger:innen der flachen Erde überzeugen können, die nicht an der Expedition teilgenommen haben? Jeranism selbst glaubt nicht daran: „Mir ist klar, dass man mich für diese Aussage als Lügner bezeichnen wird. Aber wenn Ehrlichkeit bedeutet, dass man als Lügner gilt, dann soll es so sein.“

Ein Funken Zweifel bleibt

So mutig sein Eingeständnis auch sein mag, ganz hat auch Jeranism mit der Theorie der flachen Erde offenbar noch nicht abgeschlossen. „Das bedeutet nicht, dass es mit der AE-Karte [dem verbreiteten Modell der flachen Erde] vorbei ist. Vielleicht hat jemand eine Antwort. Ich habe diese Antwort im Moment nicht.“2 Erste Zweifel scheinen sich zumindest bei diesem Flacherdler schon zu melden. Es bleibt also zu hoffen, dass es ihm gelingt, die Erfahrung zu verarbeiten, umzudenken und sich aus dem Netz jener Gruppe zu lösen, die sich bereits gegen ihn wendet. Schon für die Entscheidung, sich dieser Herausforderung zu stellen, wurde er aus den eigenen Reihen angegriffen. Dass er schließlich bereit war, vor laufender Kamera die Wahrheit zuzugeben, wird den sozialen Druck auf ihn wohl noch erhöhen. Ob er diesem standhält, wird sich zeigen, doch der erste Schritt, den der Youtuber gemacht hat, sollte anerkannt werden.

Für manche ist der Weg zur Erkenntnis lang und voller Hindernisse. Ob die Reise in die Antarktis und Jeranisms Mut ein Umdenken in der Flat-Earth-Community anstoßen können, bleibt ungewiss. Sicher ist jedoch: „Das letzte Experiment“ hat eine Tür zur Wahrheit geöffnet – jetzt werden wir sehen, wer sie nutzt.

Der große Wermutstropfen

Selbst wenn die Folgen des Experiments für die eingeschworene Gruppe der Flat Earther folgenreich sein sollten, der eigentliche Gewinner ist wohl Will Duffy. Bis dahin weniger bekannt, ist es ihm mit der Aktion gelungen, Aufmerksamkeit zu erregen und sich als Verfechter von Wissenschaftlichkeit zu inszenieren. Wer versucht, mehr über ihn herauszufinden, stellt allerdings schnell fest, dass er ein evangelikaler Hardliner ist. Als führender Kopf der Vereinigung Colorado Right to Life spricht er sich gegen das Recht auf Abtreibungen und gegen die Pille zur Verhütung aus. Dabei vertritt er unwissenschaftliche, falsche Narrative und geht sogar so weit, Abtreibungen mit dem Holocaust gleichzusetzen. Der US-amerikanische Skeptiker und Blogger PZ Myers äußert daher wichtige Bedenken: Handelt es sich hier um Science Washing? War der teure Ausflug zur Antarktis eher ein Versuch, sich als Freund der Wissenschaft zu inszenieren, um seiner religiösen Agenda Legitimität zu verleihen, als echter Einsatz für die Aufklärung? Die Frage sollte uns zu denken geben.

  1.  Zitiert nach: https://www.iflscience.com/flat-earthers-travel-to-antarctica-to-test-theories-but-are-quickly-humbled-77254 ↩︎
  2. Zitiert nach: https://wccftech.com/flat-earther-youtuber-doesnt-have-an-answer-to-explain-theory-after-experiencing-24-hour-sun-in-antarctica/ ↩︎