„Sinngemäß: Wir haben Platz für Wissenschaft UND Pseudowissenschaft.“
So übersetzte der Molekularbiologe und „Science Buster“ Dr. Martin Moder in einem Tweet vom Oktober das Herumlavieren des ORF in Sachen „Astro-Show“. Aussitzen konnte das öffentlich-rechtliche Medienunternehmen die massive Kritik an dem Horoskop-Klamauk am Ende aber doch nicht. Im November ließ der Sender den „Blick in die Sterne“ geräuschlos in der Versenkung verschwinden.
Kaum zwei Monate später macht der Physiker und Wissenschaftspublizist Dr. Florian Aigner den nächsten Science Fail beim ORF publik:
In der Doku „Erbe Österreich: Mystery Austria – Habsburgs rätselhaftes Ende“ (2019, Wiederholung am 2. Januar 2025) behauptet die Wiener Historikerin Dr. Gabriele Praschl-Bichler, es gebe wissenschaftliche Untersuchungen, die Strahlungen messen, während Gebete gesprochen werden:
„Wenn in einer normalen Kirche, wo viele Gläubige drinnen sind, gebetet wird – innig –, dann entsteht ein Strahlenwert von 25 bis 30.
Ich kenne leider die Einheit nicht.“
Wir schon. Sehr wahrscheinlich meint die Dame „Bovis-Einheiten“, mit denen Geomanten und Feng-Shui-Gläubige die „energetische Qualität“ eines „Ortes, Objekts oder einer Person“ messen wollen.
Man könnte allerdings genauso gut von „Schwurbel“ sprechen, denn
„… die Bovis-Einheit ist keine physikalische Einheit, stattdessen ist diese rein intuitiv. Sie ist nicht falsifizierbar, es existiert auch kein Messgerät“,
steht bei Wikipedia zu lesen.
Entsprechend angefressen reagierte Aigner auf diesen Nonsens:
Der ORF gibt sich kleinlaut. Der Verweis in der Interviewpassage auf wissenschaftliche Fakten an dieser Stelle sei „missverständlich formuliert, was wir bedauern“, zitiert der Standard den Sendungsverantwortlichen.
Allerdings existieren durchaus wissenschaftliche Fakten zu zwei verwandten Phänomenen, die Frau Praschl-Bichler vielleicht irgendwie durcheinandergeworfen hat.
Die Kraft von Gebeten
In den 1980ern wollte der amerikanische Kardiologe Herbert Benson wissen, ob Patienten nach koronaren Bypass-Operationen von Gebeten profitieren könnten. Die Ergebnisse seines „Great Prayer Experiment“ wurden 2006 publiziert.
„Vorsicht: Gebet“ titelte daraufhin die Süddeutsche Zeitung.
Denn:
Die Gebete haben mit 14 Prozent einen statistisch signifikanten (!) Schaden angerichtet in der Gruppe, in der die Patienten gewußt haben, daß beim lieben Gott ein gutes Wort für sie eingelegt wird. Verglichen mit der Ausgangshypothese der Forscher erlitten sogar fast doppelt so viele Patienten nach der Bypass-Op Komplikationen.
Wo die Patienten sich der Gebete nicht sicher sein konnten, war der Schaden geringer und nicht signifikant. Am besten aber schnitt die Gruppe der Patienten ab, für die nicht gebetet wurde,
„So weit, so verwirrend“, fasste die ÄrzteZeitung das Resultat in einem ausführlichen Bericht zusammen.
Kurz davor war die MANTRA II-Studie des US-Herzspezialisten Mitchell W. Krucoff erschienen. Aus unerfindlichen Gründen behaupteten daraufhin deutsche Medien „Beten heilt“ (Abendblatt) oder „Amerikanische Studie mit 750 Herzpatienten belegt die Wirksamkeit von Gebeten“ (Welt).
Tatsächlich hatten die Gebete überhaupt nichts genützt:
Neither masked prayer nor MIT therapy significantly improved clinical outcome after elective catheterisation or percutaneous coronary intervention.
Kirchen als Kraftorte
Kirchliche Gebäude werden zuweilen als „Orte der Kraft“ bezeichnet, so zum Beispiel Stift Heiligenkreuz oder auch Autobahnkirchen und -kapellen. Dabei geht es aber um „eine seelische Stärkung durch Andacht oder Gottesdienst“ beziehungsweise um „Ruhe, Inspiration, Trost und Kraft“.
In Esoterikkreisen dagegen zeichen sich „Kraftorte“ durch „erhöhte natürliche Energie“ aus, wie die Religionswissenschaftlerin Andrea Fischbacher von der „Forschungsstelle Kraft- und Kulturorte Schweiz“ erklärt. Und damit sind wir wieder bei der Bovis-Einheit und der Geomantie, dem „Glauben an die magischen Kräfte der Erde“.
Anhänger dieser esoterischen Lehre gehen davon aus, dass uralte Kultplätze mit christlichen Kirchen überbaut wurden und diese „Kraftorte“ daher mit besonderen „Energien“ aufgeladen seien. Überdies seien alle diese Stätten durch ein weit verzweigtes Energienetz (Ley-Linien) miteinander verbunden.
In der Tat wurde zum Beispiel die Wallfahrtskapelle San Miguel de Arretxinaga (Spanien) über einer megalithischen Stätte erbaut, wo ein riesiger Großstein mitten in einer Klause des hl. Michael steht.
Das „kann man aber nicht verallgemeinern“, schreiben die Archäologen Peter James und Nick Thorpe in ihrem Buch „Halley, Hühnen, Hinkelsteine“:
Man müsste Hunderte von Kirchen einreißen, um unter den Fundamenten graben zu können, ob sie über Stätten gebaut sind, die schon in prähistorischer Zeit als heilig galten.
Auch dafür, dass Kirchenbauten planvoll an die Schnittpunkte solcher Energieströme gesetzt wurden und die Zusammenflüsse der unterirdischen Erdenergien messbar seien, gibt es keinerlei Beweise, die „einen Skeptiker überzeugen könnten“. Physikalisch unterscheiden sich „Kraftorte“ nicht von beliebigen anderen Orten. Subjektive Messmethoden mit Wünschelruten oder Pendeln entspringen esoterischen Phantasievorstellungen.
Natürlich gibt es Orte voller Faszination. Die anziehen, ohne dass dort elektromagnetische oder „feinstoffliche“ Kräfte wirken.
Eine Maßeinheit dafür gibt es nicht.
Quellen:
- Mark, Oliver „Kaiserliche Schwurbelstrahlen“ DerStandard (4. Januar 2025)
- Rudolph, Hagen „Richten Gebete für kranke Menschen Schaden an?“ ÄrzteZeitung (7. Juni 2006)
- Kellenberger, Markus „Auf der Suche nach den Orten der Kraft“ natürlich (17. Oktober 2024)
- Magin, Ulrich „Geheimwissenschaft Geomantie“ Rowohlt (1. Januar 1996)
- Paschos, Caroline „Der Urknall war 1 Fehler – oder doch nicht?“ skeptix (4. Januar 2025)
Titelfoto: Die Kapelle San Miguel de Arretxinaga (© Ernestobanpiroa)
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