Bei mir war ein Gefühl der Beklemmung, weil die Menschen sich wirklich auf einfachste Art und Weise veräppeln ließen.
Das war für mich nicht beschaulich oder besinnlich oder religiös, das war für mich Horror pur.
So äußern sich zwei Marpinger Bürger zu den „Marienerscheinungen“ von 1999, als Zehntausende Gläubige und Schaulustige in das 5000-Einwohner-Dorf im nördlichen Saarland einfielen.
25 Jahre später hat die Journalistin Kira Gantner (die in Marpingen aufgewachsen ist) die Dokumentation
Als Maria ins Dorf kam
über die damaligen Ereignisse gedreht (in der ARD-Mediathek und bei Youtube):

Ohne Off-Kommentar und ohne zu werten lässt die unaufgeregte 45-Minuten-Produktion Menschen erzählen, wie sie die 13 Erscheinungstage von Mai bis Oktober 1999 erlebt haben. Der ehemalige Bürgermeister Werner Laub äußert die Überzeugung, dass
… irgendwelche Leute möglicherweise auf die Idee gekommen sind, derartige Sachen anzustoßen und zu schauen, wie es läuft.
Diese „Leute“ vermutete man im Umfeld des Beichtvaters der drei „Seherinnen“ (der an der Spitze der „Marianischen Priesterbewegung“ in Deutschland stand) und des örtlichen „Kapellenvereins“ (dessen Vorsitzender von einem deutschen Lourdes träumte).

Oder ließen sich die drei jungen Frauen von der allgemeinen Weltuntergangsstimmung des Jahres 1999 anstecken, als sie „Botschaften“ rezitierten wie
Wenn ihr nicht wieder Gott liebt, euch nach den Geboten Gottes richtet, nach den Geboten der Kirche lebt, dann weiß ich nicht, ob ich den strafenden Arm Gottes aufhalten kann.
Oder ging es um ein kirchenpolitisches Intrigenspiel, wie Alan Posener in der Welt mutmaßte?
Es fällt schwer, an ein zufälliges Zusammentreffen der Erscheinungen mit der Auseinandersetzung um die Schwangerenberatung zu glauben.
Tatsächlich hieß es am elften Erscheinungstag von der Gottesmutter:
Betet viel, dass euer Land aufhört, die vielen Kinder zu töten. Die Kinder sind zwar bei uns im Himmel, aber die Menschen, die das tun, die sind in Gefahr, auf ewig verloren zu gehen.
Der Bischof von Trier sprach 2005 nach langem Zögern schließlich das Urteil:
non constat de supernaturalitate – Es steht nicht fest, ob es sich um Übernatürliches handelt.
Mit diesem Ergebnis durften „die Verantwortlichen höchst zufrieden sein“, schreibt Monika Hauf in ihrem Buch „Marienerscheinungen – Hintergründe eines Phänomens“:
Im Generalvikariat habe man nämlich die angeblichen Erscheinungen unverblümt als Hokuspokus bezeichnet, und die Verfechter ihrer Echtheit hatten bereits das Urteil constat de non supernaturalitate befürchtet: Es steht fest, dass die Erscheinungen nicht übernatürlichen Ursprungs sind.
Das hätte die Chance von Marpingen, ein „deutsches Lourdes“ zu werden, zunichte gemacht. Die offizielle Stellungnahme des Bischofs konstatiert lediglich, dass der übernatürliche Charakter nicht erwiesen sei, ohne ihn jedoch völlig auszuschließen.
Damit wählte die Kirche, wie schon so oft, den mittleren Weg. Sie will von den Erscheinungen profitieren, sich aber nicht festlegen.
Trotzdem ist aus dem „deutschen Lourdes“ am Ende nichts geworden.
Auch, weil die große Mehrheit der Marpinger Bürger nichts weiter wollte als „die Ruhe zurück, die wir vorher hatten“, wie es in dem Film von Kira Gantner heißt.
An der Marienverehrungsstätte im Härtelwald hat sich seitdem wenig verändert. An den Regeln zur Beurteilung von Marienerscheinungen hingegen schon. Statt, wie damals, drei gibt es seit letztem Jahr doppelt so viele Optionen:
Nihil Obstat: Keine Gewissheit über die übernatürliche Echtheit, aber doch Anzeichen für ein Wirken des Heiligen Geistes.
Prae oculis habeatur: Wichtige positive Zeichen, aber auch Elemente der Verwirrung oder mögliche Risiken, die eine sorgfältige Entscheidung und Dialog mit den Empfängern (z.B. Sehern) bestimmter geistlicher Erfahrungen erfordern.
Curatur: Kritische Elemente, aber eine weite Verbreitung des Phänomens mit nachweisbaren geistlichen Früchten. Von einem Verbot, das die Gläubigen verwirren könnte, wird abgeraten, aber der Bischof wird aufgefordert, das Phänomen nicht zu fördern.
Sub mandato: Kritische Punkte, die sich nicht auf das Phänomen selbst beziehen, sondern auf den Missbrauch durch Einzelne oder Gruppen. Der Heilige Stuhl betraut den Bischof oder einen Delegierten mit der pastoralen Leitung des Ortes.
Prohibetur et obstruatur: Trotz einiger positiver Elemente sind die kritischen Aspekte und Risiken schwerwiegend. Der Bischof soll öffentlich erklären, dass das Festhalten an diesem Phänomen nicht zulässig ist.
Declaratio de non supernaturalitate: Der Bischof wird ermächtigt, auf der Grundlage konkreter Beweise zu erklären, dass das Phänomen nicht als übernatürlich zu betrachten ist.
Zweimal wurden 2024 diese neuen Normen bereits angewandt: in Trevignano und in Medjugorje. Bis zum nächsten Fall spielen wir eine Runde Marienerscheinungen-Quartett.
Quellen:
- Posner, Alan „Der letzte Sonntag mit Maria“ welt (15. Oktober 1999)
- Schrep, Bruno „Die Jungfrau von Marpingen“ spiegel (12. September 1999)
- „Neue Normen zu mutmaßlichen übernatürlichen Phänomenen“ vatican news (17. Mai 2024)
Titelfoto: Die Gebetsstätte in Marpingen am 8. August 1999 während der angeblichen Marienerscheinung/© Oktobersonne
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