Hexen – Chronik eines Massakers
ist der Titel einer neuen ARTE-Doku zum Thema Hexenverfolgung:

Im Jahr 1609 schickte Heinrich IV. den Richter Pierre de Lancre wegen Hexerei ins französische Baskenland. In den Prozessen wurden 80 Menschen zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Zwischen dem 15. und dem 17. Jahrhundert fielen in Europa insgesamt zwischen 40.000 und 60.000 Menschen derartigen Verfolgungswellen zum Opfer. Wie lässt sich das Phänomen erklären?
Historikerinnen und Historiker suchen nach unveröffentlichten Dokumenten und gehen den Ursprüngen dieser Gewalt nach, die sich vor allem gegen Frauen richtete. Die historische Recherche enthüllt die Hintergründe der Hexenverfolgung und die verborgenen Mechanismen eines verkannten Abschnitts der europäischen Geschichte.
Den Beitrag (zirka 90 Minuten) gibt es bei Youtube und in der ARTE-Mediathek.
Die historische Hexenverfolgung ist auch Titelthema der aktuellen Ausgabe von Zeit Verbrechen (36/2025). In dem Artikel von Lisa Brockmeyer geht es um das seltene Phänomen der Selbstbezichtigung anhand von drei Beispielen aus dem Südwesten des heutigen Deutschlands:

Und doch gab es nicht wenige Frauen, Männer und gar Kinder, die das Wort Hexe im Munde führten, die es laut hinausposaunten und sich selbst der Justiz stellten, wohlwissend, dass auf die Selbstbezichtigung die Hinrichtung folgen würde.
In zwei Forschungsprojekten haben die Historiker Isabelle Zeder und Johannes Dillinger Fallbeispiele aus dem Südwesten des heutigen Deutschlands gesammelt, in denen Menschen unterschiedlichen Alters sich selbst wegen Hexerei anzeigten.
Es sind Geschichten tiefer Verzweiflung, die uns viel über die Lebensumstände der damaligen Zeit verraten – und über die irrationale Furcht vor schwarzer Magie und okkulter Blasphemie, die bis in die höchsten Kreise der damaligen Gesellschaft reichte.
Doch jene, die starben, kamen von ganz unten. So wie Maria Ostertag, Margaretha Schirm und Catharina Schmid.
Brockmeyer vergleicht das Phänomen der Selbsttötung durch Selbststigmatisierung mit heutigen Fällen des sogenannten Suicide by cop und zitiert dazu die Trierer Historikerin Rita Voltmer, die glaubt, dass
… hinter den meisten Fällen der Selbstbezichtigung seelische Erkrankungen steckten:
„Diese Menschen litten unter besonderen psychischen und physischen Belastungen, unter Traumata, unter der Vorgeschichte ihrer Familie. Und vielleicht auch unter der Rolle, die die Gesellschaft und das soziale Umfeld ihnen aufgezwungen haben. Aus heutiger Sicht würden wir wohl sagen, dass sie schwer depressiv waren.
Und in ihrer Verzweiflung flüchteten sie sich geradezu vor Gericht und sagten: Ich bin vom Teufel besessen. Macht mir den Prozess, schafft mich aus dem Leben fort, damit meine Seele gerettet wird.“
Ein „Suicide by Trial“ gewissermaßen, der Suizid durch ein Gericht.
Zugleich rasiert die Zeit-Redakteurin den „Irrglauben“ von der „Vernichtung der weisen Frauen“, dem zufolge man sich mit der Hexenverfolgung „unangepasster Frauen“ (Hebammen, Heilerinnen etc.) habe entledigen wollen:
„Das wäre so eine schöne, einfache Erklärung, aber es ist viel komplizierter“, sagt Voltmer.
Zur Wahrheit gehört, dass tatsächlich 70 bis 80 Prozent der Opfer weiblich waren, einige von ihnen arm und randständig. Mancherorts mag es auch durchaus eine Rolle gespielt haben, dass man sich unangepasster Frauen entledigen wollte.
Doch es gab Zeiten und Landstriche, katholische wie protestantische, da konnte es jeden treffen – ob alt oder jung, männlich oder weiblich, arm oder reich. Dienstmägde starben auf dem Scheiterhaufen, ganze Familien, Handwerker, Gelehrte, Geistliche und auch einige wenige Hebammen.
Die US-Journalistin Malorie Mackey nimmt im Skeptical Inquirer das Hexenmusical „Wicked“ (Teil 2 läuft gerade in unseren Kinos) zum Anlass für einen Jahreswechselappell an die skeptische Community:
For the people in your life, go out there and hold to your own skeptical nature, despite how hard it may be, especially in today’s tumultuous landscape.
Be yourself, stay true to your skeptical guideposts, and change the people you love, and yourself, for the better.
Bereits im vergangenen Jahr hatte die amerikanische Sozialwissenschaftlerin Kerice Doten-Snitker in einer Studie zur europäischen Hexenverfolgung Parallelen zu heutigen Veränderungsprozessen und dem Einfluss neuer Medien gezogen.
Zum Weiterleben:
- Brockmeyer, Lisa „Hexenverfolgung: Der Tod dreier Hexen“ zeit (16. Dezember 2025)
- Mackey, Malorie/Maldonado, Michael „How Wicked Reflects Real-World Intersections between Belief and Skepticism“ Skeptical Inquirer (November/December 2025)
- Nobach, Marius „Wicked: Teil 2“ Filmdienst (4. Dezember 2025)
- Wolf, Christina „Trotz tollem Vorgänger: Warum Wicked 2 nicht überzeugt“ BR (20. November 2025)
- Kleinhubbert, Guido „War Ihre Heimat eine Hochburg der Hexenverfolgung?“ spiegel (31. Oktober 2025)
- Harder, Bernd „Hilfswerk: Hexenwahn fordert heute mehr Todesopfer als in früheren Jahrhunderten“ skeptix (6. August 2025)
- Video „Arte im Hexenwahn – eine Reaktion“ Geschichtsfenster (9. März 2025)
- Harder, Bernd „Kindoki Witch Boy: Wie der Glaube an Hexen und Zauberei immer noch Opfer fordert“ skeptix (1. März 2025)
- Müller, Andreas „Malleus Maleficarum – Wie der Buchdruck eines Handbuchs zur Hexenverfolgung und soziale Netzwerke zum Hexenwahn in Europa beitrugen“ grenzwissenschaft-aktuell (9. Oktober 2024)
- „How a witch-hunting manual & social networks helped ignite Europe’s witch craze“ Santa Fe Institute (8. Oktober 2024)
Titelfoto: ARTE


Schreibe einen Kommentar