Wenn das Chakra drei Mal schwurbelt – esoterische Bildungsangebote an deutschen Volkshochschulen

von Dr. Stephanie Dreyfürst

Einigen mag vielleicht schon einmal aufgefallen sein, dass ihre lokale Volkshochschule neben “normalen” Kursen auch seltsame bis zweifelhafte Dinge im Programm stehen hat. Aktuelle Beispiele reichen dabei von “Tarotkartenlegen zur Selbstfürsorge” über die “homöopathische Hausapotheke” bis hin zu “Kinesiologie für Kinder” oder Astrologie

In schöner Regelmäßigkeit berichten auch die Presse und einige Skeptiker:innen von solchen thematischen Fehltritten.

Für einen Vortrag bei Skeptics in the Pub Köln (SitP) hatte ich ca. 6% aller Bildungsangebote an deutschen Volkshochschulen ausgewertet und geschaut, wie viel Schwurbel tatsächlich in unseren Volkshochschulen steckt. Dafür hatte ich mir aus jedem Bundesland eine reiche und eine arme Stadt sowie einen reichen und einen armen Landkreis näher angesehen. Im Ergebnis, das sei einmal vorweggenommen, war es weniger, als ich angenommen hatte, dennoch waren einzelne Kurse so auffällig “daneben”, dass sich ein näheres Hinsehen auf jeden Fall lohnt.

Gerade der Fachbereich Gesundheit ist erfahrungsgemäß prädestiniert dafür, auch unsinnigen bis gefährlichen Mumpitz anzubieten; je nach Rechtsform der Volkshochschule (kommunale Einrichtung, gemeinnütziger Verein, gGmbH etc.) werden für das Kursangebot auch Steuergelder verwendet.

Als Direktorin einer (eigenständigen und gemeinnützigen) Volkshochschule und als Gründungsmitglied von Skeptix e.V. beschäftigt mich das Thema seit einiger Zeit. Ich setze mich in meiner eigenen Vhs-Gemeinschaft dafür ein, dass wir verbindliche(re) Qualitätsstandards bekommen, damit diejenigen, die bei uns Kurse besuchen, sich darauf verlassen können, dass es an einer Volkshochschule nur vernünftige und ungefährliche Bildungsangebote gibt.

Dass das nicht selbstverständlich ist, davon konnte ich mich gerade selbst überzeugen. 

Inkognito hatte ich mich in einen Kurs an einer weiter entfernten Vhs eingeschrieben. Ich wollte mir  vor Ort ein Bild machen, denn der Kurs gehörte zu den schlimmsten unter allen Schwurbelangeboten, die ich im Zuge meiner Recherchen gefunden hatte. Inhaltlich ging es um die Lehren von Anthony William, der als angebliches “Medical Medium” mit 4,8 Mio Followern bei Instagram Menschen Gesundheitsratschläge und Ernährungstipps gibt. 

William wird seit einiger Zeit ziemlich gehypt, u.a. durch Menschen wie Kim Kardashian und die für Schwurbel stets zu habende Gwyneth Paltrow. Die Begeisterung mancher Promis führte u.a. dazu, dass Williams Machwerke zu Bestsellern wurden, und das weltweit.

Bis zu diesem Semester war der vhs-Kurs zu “Autoimmunkrankheiten und anderen chronischen Krankheiten: Verständnis und Selbstheilung nach Anthony William” jedoch nicht zustande gekommen, offenbar aus Mangel an Teilnehmenden, was ja eigentlich erst einmal positiv zu bewerten ist. Dass der Kurs trotzdem immer wieder im Programmheft erscheint, spricht meiner Erfahrung nach dafür, dass wir es hier mindestens mit einem Problem der Fachbereichsleitung zu tun haben, aber dazu später noch ein paar Bemerkungen.

Vor Ort lauschte ich dann zweieinhalb Stunden ungläubig den Ausführungen des “freien Beraters für körperliche und geistige Gesundheit”, der offenbar, wenn ich einem anderen Teilnehmer glauben kann, im “richtigen” Leben Polizist ist oder es zumindest einmal war.

(Zu den Lehrbedingungen an deutschen Volkshochschulen kann ich an dieser Stelle nichts weiter sagen, aber Kurse an einer Volkshochschule zu geben kann man sich (mit Ausnahme von Deutschkursen) nur leisten, wenn man einen regulären “day job” hat und auf die Einkünfte nicht wirklich angewiesen ist. Dass dieser Umstand mitunter auch zu Lasten der Qualität gehen kann, leuchtet sicher vielen ein)

Der Kursleiter begann jedenfalls den abenteuerlichen zweieinhalbstündigen Ritt von einer Verschwörungstheorie zum nächsten Quacksalber-Unsinn mit der Biographie des “Medical Medium” Anthony William, der – so die Legende – seit er vier Jahre alt war, die Stimme seiner verstorbenen Großmutter hört. Die flüstert ihm nämlich ein, was den Menschen fehle und er könne so die richtige Therapie empfehlen. 

Das “Medical Medium” William würde wundersamerweise „immer ins Schwarze treffen”, er hätte „noch nie daneben gelegen“, so der Dozent in unserem Kurs. Teil der bahnbrechenden Erkenntnisse von William sind folgende Behauptungen, die der Dozent uns mit voller Inbrunst als Tatsachen vermitteln wollte:

  • Die meisten, wenn nicht alle chronischen Krankheiten würden von der „Schulmedizin“ falsch behandelt und seien durch frischen Selleriesaft und/oder „heavy metal detox Smoothies“ heilbar (darunter Parkinson, Multiple Sklerose, Alzheimer, Bluthochdruck, Schilddrüsenerkrankungen usw.)
  • Mono-Diäten seien hervorragend geeignet, um entzündliche Darmerkrankungen zu heilen (also vier Wochen nur Kartoffeln oder nur Bananen essen)
  • Wir würden alle durch Chemtrails aus der Luft vergiftet (von „denen da oben“)
  • Adrenalin löse Diabetes aus
  • Unsere Köpfe würden mit steigendem Alter wachsen, weil sich so viel schädliches Metall in ihnen ablagert (das man selbstverständlich nur mit teuren „heavy metal detox Smoothies“ ausleiten kann)
  • Impfen schade bzw. töte, besonders die Corona-Impfung
  • Der menschengemachte Klimawandel existiere nicht, man solle ruhig Blaubeeren aus Kanada importieren, das sei vollkommen egal
  • Blaubeeren aus der Region würden nicht gegen Alzheimer helfen, das könnten nur die wilden kanadischen
  • Medikamente müsse man nicht nehmen, gute Ernährung reiche vollkommen aus

Das waren nur ein paar der abstrusen bis gefährlichen Dinge, die der Dozent innerhalb von 2,5 Stunden von sich gab. Besonders prekär fand ich daneben, dass er die anwesenden Kursteilnehmenden einzeln zu Beginn gefragt hat, an welchen Krankheiten sie litten und darauf auch immer wieder zurückkam. 

Erfreulicherweise waren die anwesenden Menschen auffällig skeptisch. Den wildesten Behauptungen des Dozenten haben sie jedenfalls mehrmals widersprochen – was in einer tendenziell immer noch hierarchisch geprägten Situation (hier Dozent:in, dort Kursteilnehmende) ja nicht ganz selbstverständlich ist.

Trotzdem saßen da natürlich Menschen, die entweder selbst an chronischen Krankheiten litten oder kranke Angehörige hatten, und die mit einem vollkommen nachvollziehbaren Wissensdurst und Interesse an gesunder Lebensführung und Ernährung in diesen Kurs gekommen waren. 

Genau das ist auch der Grund, warum ich es so wichtig finde, dass sich alle darauf verlassen können, keine gefährlichen Falschinformationen und esoterische Quacksalbereien an einer Volkshochschule vorgesetzt zu bekommen. Unser Motto lautet “Bildung für alle” – das darf eben nicht bedeuten “Alles ist Bildung” und v. a. ist nicht alles gute Bildung.  

Nach meinem Kursbesuch habe ich jedenfalls den Leiter der entsprechenden Volkshochschule angeschrieben und ihm auf kollegialer Ebene von meinem negativen Eindruck berichtet. Eine Antwort habe ich bis dato zwar nicht bekommen, das Angebot ist jedoch auf der Webseite der Vhs nicht mehr zu finden. Auch zur Person des Dozenten findet sich im Netz überhaupt nichts mehr, was dann doch etwas überrascht, wenn jemand mit seiner Beratertätigkeit Geld verdienen möchte.

Was ist also zu tun, damit solche Angebote idealerweise gar nicht erst in Programmen deutscher Volkshochschulen auftauchen?

Zwar gibt es bereits die Selbstverpflichtungen und Richtlinien des Bundesarbeitskreises Gesundheit & Natur, nach denen etwa Heilsversprechen und unseriöse Inhalte nicht an deutschen Volkshochschulen zu finden sein sollten, das sind leider nur relativ soft formulierte Empfehlungen, die keinerlei Konsequenzen haben, wenn sie nicht eingehalten werden. 

Unsere Kolleg:innen in Österreich sind uns da seit über zehn Jahren mindestens einen Schritt voraus: 2013 veröffentlichten alle Volkshochschulen eine gemeinsame Erklärung, in der sie sich darauf verpflichteten, nur qualitätsgesicherte und evidenzbasierte Veranstaltungen anzubieten.

Ich sprach neulich mit zwei österreichischen Kollegen darüber, wie es zu der Erklärung kam und welche Auswirkungen sie auf den Lehrbetrieb hatte. Wie so häufig ist es auch an österreichischen Volkshochschulen im Alltag schwierig, sich immer und überall an die eigentlich sinnvollen Qualitätsvorgaben zu halten, aber es gibt zumindest eine konsensfähige Basis, auf deren Grundlage man Programmangebote bewerten kann.

Das Stichwort “Bewertung von Angeboten” war in der Tat auch etwas, das mich während der Beschäftigung mit dem Thema über eine Art Ranking nachdenken ließ. Ich wollte gerne ein System haben, mit dessen Hilfe man Dinge anhand von vorher festgelegten Parametern einordnen und für alle leicht nachvollziehbar den Grad an Verschwurbeltheit bewerten kann. 

Ich hatte dann irgendwann die Idee, den  so genannten Quack-Score zu verwenden, anhand dessen man also bewerten kann, wie verschwurbelt oder eben evidenzbasiert etwas ist (das können, müssen aber nicht Bildungsangebote sein). Für eine etwas ausführlichere Erklärung des Quack-Scores geht es hier lang.

Auf der persönlichen Ebene hat mich der Besuch in diesem Kurs jedenfalls erschüttert. Es motiviert mich, an dem Thema dran zu bleiben, auch wenn ich mich damit sicher nicht nur beliebt machen werde. Aber die anwesenden Menschen in dem Kurs haben Besseres verdient, als mit gefährlichem Unsinn und Verschwörungsgeraune gefüttert zu werden. Ich habe zwar meinen Inkognito-Status nicht gebrochen, aber eine kurze Abwesenheit des Dozenten genutzt um, den übelsten Verschwörungsmythen wie der Existenz von Chemtrails zu widersprechen – zum Glück waren alle Anwesenden entweder sowieso skeptisch oder wussten bereits, dass das Unsinn ist. Aber das muss nicht immer der Fall sein und eben für solche Situationen sollten wir uns alle darauf verlassen können, dass an Volkshochschulen nur qualitätsgesicherte Angebote stattfinden. Am besten mit einer Zertifizierung, aber der Weg dorthin wird sicher kein leichter. 

Mein Fazit aus der Recherche: Die Gesamtsituation war vielleicht weniger schlimm, als ich zu Beginn befürchtet habe, aber doch schlimm genug, dass ich unbedingt weitermachen möchte. 

Auf Bluesky findet ihr einen Thread zu meinem Besuch des Schwurbel-Kurses

Wer gerne Quack-Score-Aufkleber haben möchte, kann sich gerne direkt bei mir (Bluesky: @sdreyfuerst.bsky.social oder bei Insta: @barely_listening) oder bei Skeptix melden