von Sarah Grundner
Es gibt viele Zugänge zur Waldorfkritik. Naturwissenschaftler:innen richten ihre gegen die Esoterik, die verbreitet wird, Bildungswissenschaftler:innen gegen die unwissenschaftlichen Unterrichtsmethoden, Bildungsaktivist:innen gegen die Tatsache, dass Waldorfschulen Privatschulen sind. Aber eine Perspektive hat für viele Jahre nicht die Stimme bekommen, die nötig wäre: die Perspektive ehemaliger Waldorfschüler:innen. Was sagen wir eigentlich zu der ganzen Sache?
Ich bin ehemalige Waldorfschülerin und übe seit drei Jahren öffentlich an diesen Schulen Kritik.
Als ich 1980 in einen Waldorfkindergarten kam, waren meine Eltern ganz normale Hippies. Ein bisschen esoterisch angehaucht vielleicht, aber keine Anthroposoph:innen. Meine Zeit dort war wunderschön. Ich habe es geliebt: die Naturmaterialien, das freie Spiel, die Kerzen, die Zeit in der Natur. Heute habe ich auch an den Waldorfkindergärten viel zu kritisieren, aber damals kannte ich es einfach nicht anders, und meine Mutter konnte das Geschwurbel einfach ignorieren.
Mit Schuleintritt hat sich dann allerdings alles verändert.
In meinem letzten Kindergartenjahr begannen wir nach Steiner zu kochen, – vegetarisch, nach dem „sieben Tage, sieben Körner“-Prinzip -, Kleider statt Hosen zu tragen – auf keinen Fall Jeans! – und biologisch einzukaufen. Die Holzfiguren von Ostheimer, die Bauklötze handgesägt, die Puppen selbst genäht. Meine Mutter wurde zu meinem Schuleintritt zur hardcore Steineranhängerin.
Eigentlich hätten wir uns die Waldorfschule gar nicht leisten können. Meine Mutter war alleinerziehend und das Schulgeld war zu teuer. Aber als „Sozialkind“ durfte ich trotzdem die Waldorfschule besuchen. Die Kosten wurden von den Beiträgen der anderen Eltern übernommen.
Meine Mutter sagt, sie hätte mich zu den Waldorfs gegeben, weil ich nach ihrer Scheidung so ein „kaputtes Kind“ gewesen sei, und die Lehrkräfte mich dort ganzheitlich wahrnehmen könnten. Sie lag leider falsch.
Die anderen Kinder in meiner Klasse kamen aus wohlhabenden Familien. Einige wurden von einem Chauffeur in die Schule gebracht. Mir wäre das egal gewesen. Aber sie merkten, dass ich arm war, und begannen, mich zu mobben. In der 5. Klasse gab meine Lehrerin meinen Klassenkamerad:innen eine Stunde Zeit, um mir zu sagen, warum sie mich nicht mochten.
Es war eine Erfahrung, die mich in ihrer Scheußlichkeit lange Jahre begleitet hat und auch heute noch etwas sprachlos macht – was hat sich die Lehrerin gedacht? Warum tut man sowas?
Das Mobbing wurde von den Lehrkräften auch noch unterstützt, indem sie mein „Anderssein“ hervorgehoben haben.
Sicher, das hätte auch an einer anderen Privatschule passieren können, aber es war nicht mein einziges Problem. Ich passte einfach nicht in das Weltbild der Anthroposophie.
Ich habe als Kind alles mit der linken Hand gemacht, also begann ich auch mit ihr zu schreiben. Doch das wurde mir wegtrainiert. Den linkshändigen Kindern wurde gesagt, wir seien dümmer als Rechtshänder, weil wir die falsche Gehirnhälfte verwenden würden. Auch meine Brille war für die Lehrkräfte ein Zeichen dafür, dass ich minderwertig sei. Sie zeige, dass ich „ohne Scharfsicht“ durchs Leben ginge.
In meinen Zeugnissen standen Bewertungen meiner Persönlichkeit oder meines “Seelen Zustandes”. Ich sei “zu verkopft”, ginge mit “zu viel Leichtigkeit” durchs Leben oder meine „Ich-Achse“ sei verbogen. Ich weiß bis heute nicht, was das überhaupt sein soll. Während meiner Schulzeit habe ich mir immer Noten gewünscht. Ich hätte mir davon etwas Objektivität und eine Bewertung meiner Leistung statt meiner Person erhofft.
Der Unterricht selbst war von Steiners Weltbild geprägt, die Unterrichtsinhalte esoterisch, rassistisch und teilweise faktisch nicht richtig.
Wenn ich meine Geschichte erzähle, heißt es immer, ich sei “bestimmt ein Einzelfall “ oder “an unserer Schule ist das anders”, oder “heute ist das alles ganz toll“, aber das ist falsch. Ich war kein Einzelfall. Ich bin kein Einzelfall. Die Probleme sind im System, nicht bei einzelnen Personen. Durch meine Aufklärungsarbeit in den sozialen Medien habe ich sehr viele ehemalige Waldorfschüler:innen kennengelernt, bei denen es ganz ähnlich war.
Also, warum eigentlich Waldorfkritik?
Weil ich will, dass diese Schulen als das angesehen werden, das sie sind: esoterische Weltanschauungsschulen. Weil ich nicht will, dass noch mehr Kinder in diesen Schulen leiden müssen. Weil ich Bildungsgerechtigkeit will. Und ganz besonders, weil es ein Gegengewicht zur anthroposophischen Öffentlichkeitsarbeit geben muss.
Weitere Infos (explizit von ehemaligen Waldorfschüler:innen aufbereitet) findet ihr unter
https://taz.de/Kolumne-Exit-Waldorf/!t5959103
#ExWaldi auf Twitter, Bluesky und Instagram
Beitragsbild: Simmox – CCBYSA 4.0 international via Wikimedia Commons
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