Gläubig oder skeptisch? Wie kommt das eigentlich?

(Lesedauer ca. 5 Minuten)

Ist das ein Tiger? Oder einfach nur gelbe und schwarze Streifen?

Vecteezy/Takeshi Ishikawa

Sagen wir mal so:

Der Mensch, eben von den Bäumen gestiegen, musste zu unterscheiden lernen. Wo wiegt sich das bloße Gras, wo verbirgt sich eine gestreifte Gefahr dahinter?

Der Mensch entwickelte einen Gefahren-Erkennungsapparat, der es sich nicht erlauben kann, rational zu sein. Überlegt man sich lange, ob sich da wirklich etwas bewegt, statt sofort die Flucht zu ergreifen, ist man schon längst gefressen.

Es ist für ein System also besser, wenn es so beschaffen ist, dass es ein bisschen mehr sieht, als wirklich da ist,

erklärt der Schweizer Neuropsychologe Peter Brugger im Tages-Anzeiger-Magazin.

Und damit war zugleich die Grundlage für das gelegt, was wir heute „Aberglauben“ nennen – Brugger zufolge „der Preis, den wir für eine sehr wichtige Überlebensfunktion bezahlen müssen, das Sehen von Bedeutung in Zufallsmustern“.

Denn noch immer

… verfallen wir in Denkmuster von Neandertalern, wenn es um Zufälle geht,

ergänzt der Londoner Statistikprofessor David Hand:

Die dachten ja auch: Der Blitz hat in einen Baum eingeschlagen – ein Zeichen der Götter!

Heute denken wir: Meine Mutter hat mich angerufen, kurz nachdem ich ein Foto von ihr betrachtet habe – Gedankenübertragung.

Nein. Es ist beide Male einfach nur Zufall.

https://www.nzz.ch/podcast/glaeubig-oder-skeptisch-liegt-der-unterschied-im-gehirn-ld.1871441

Allerdings glauben manche an Gedankenübertragung, andere nicht. Wie also kommt im Detail der Unterschied zwischen „gläubig“ und „skeptisch“ zustande? Darüber sprach die Psychologieprofessorin Christine Mohr von der Universität Lausanne im Podcast NZZ Megahertz.

Die Bereitschaft, Ereignisse als zufällig zu akzeptieren, variiert in der Bevölkerung extrem,

sagt Mohr.

Möglicherweise liege das an Unterschieden „in der linken und rechten Hemisphäre“ , genauer gesagt:

Unsere neuropsychologische Sicht ist, dass die rechte Hirnhälfte, die eher so ein bisschen für weite gedankliche Sprünge verantwortlich ist, eben bei Gläubigen aktiver ist,

führte Peter Brugger (auf den Mohr sich beruft) 2010 im Deutschlandfunk aus. Dass die Vorstellung vom „Rechtshirntyp“ und „Linkshirntyp“ so plakativ als Mythos gilt, ist Brugger bewusst:

Aber wir konnten zeigen, dass da wirklich etwas dran ist,

bekräftigte er in einem Spektrum-Interview, was auch Christine Mohr bei NZZ Megahertz unterstreicht.

https://open.spotify.com/episode/1uv2tDdMUPAqLKXsKwoZbT

Jedenfalls legt die Kognitionspsychologin dem Aberglauben eine Persönlichkeitsstruktur zugrunde, die von bestimmten Präferenzen in der Informationsverarbeitung geprägt sei – wenn nämlich das Gehirn Vorgänge miteinander verbindet, die eigentlich völlig unabhängig voneinander stattfinden, im Gegensatz zum zielgerichteten und auf Logik aufgebauten rationalen Denken.

Demnach führt das Missverstehen von Zufälligkeit zu Aberglauben. „Gläubige“ zeigen schlicht eine stärkere Tendenz, Muster in zufälligen Ereignissen zu sehen, als „Skeptiker“.

In seinem Buch „Die Psychologie des Aberglaubens“ verdeutlicht der amerikanische Psychologe Stuart Vyse das an einem Beispiel:

Würde man einige Menschen bitten zu entscheiden, welche der beiden nachfolgend dargestellten Reihen von Münzwürfen die wahrscheinlichere sei, würden die meisten auf die untere Reihe tippen:

  • KKKKKK
  • KZZKZK

In Wirklichkeit treten beide Serien mit der gleichen Wahrscheinlichkeit auf.

Für den Aberglauben heißt das:

Der Fußballfan merkt sich das eine Mal, bei dem seine Lieblingsmannschaft verloren hat, als er das falsche T-Shirt anhatte. Er trägt also fortan nur noch das Mannschaftstrikot als Glücksbringer, selbstverständlich. Dass seine Mannschaft trotzdem nicht immer gewinnt, führt er schlicht auf andere Gründe zurück.

Dahinter steht das Bedürfnis, das Unkontrollierbare zu kontrollieren.

Prof. Christine Mohr beim ESC 2019 in Ghent

Dass abergläubisches Denken auch positive Aspekte hat, weil es zum Beispiel Kreativität fördere, ist ebenfalls eine ältere These von Peter Brugger, die Mohr in dem NZZ-Podcast vertritt. Aber eben nicht nur. Wie Aberglaube zum Beispiel dem Artenschutz in die Quere kommen kann, beschreibt Mohr in ihrem Buch „Ma vie de chouette“

Mit einem eigenen Forschungsprojekt will Mohr, zusammen mit dem Biologen Alexandre Roulin, dafür sorgen, dass „in Regionen, in denen Eulen besonders gefürchtet, gehasst oder sogar getötet werden, die Vögel mit Präventionsmaßnahmen“ geschützt werden:

Keine 50 Jahre ist es her, da nagelte man immer noch Eulen und Käuze an die Scheunentore, um durch dieses Ritual die bösen Geister zu verbannen.

Quellen:

Titelfoto: Freepik/rawpixel

Kommentare

2 Antworten zu „Gläubig oder skeptisch? Wie kommt das eigentlich?“

  1. Corinna Vanvlodorp

    Vielen Dank für die Zusammenfassung.

    Ich glaube, man kann die Betrachtung noch ausweiten, wenn die emotionale und soziale Wirkung von Aberglauben einbezogen wird.

    Menschen sind emotional unterschiedlich bedürftig und damit macht z.B. mangelnde Kontrolle Menschen auch unterschiedlich Angst. Und die Geschichte von der Wirkmacht des Schicksals, oder der eigenen „spooky“ Macht, die deutlich über das Alltagsleben hinausgeht, ist einfach besser als eine Zufallsgeschichte.

    Dazu käme, dass sich Emotionen in Erzählungen sehr gut tradieren lassen. Und das ganze geschieht dann in einem sozialen Netzwerk, in dem „spirituelles“ Denken belohnt wird und skeptisches nicht – und immer dieselben Narrative tradiert werden.

    Dazu kommt die soziale Erzählung, dass beim Skeptiker ein Mangel vorliegt und man erst seine Fähigkeiten „öffnen“ muss und ein sozialer Aufstieg in der Gruppe mit zunehmend spirituellem Denken. Und diese interaktionsbezogenen Erfahrungen haben ja ein neuroplastischen „Niederschlag“ – also was man macht, verändert das Gehirn. Leider hab ich nicht die ideale Quelle zum Kommentar, aber hier ist mal eine Quelle zum Erhalt von Emotionen in Erzählungen:

    He, T., Breithaupt, F., Kübler, S. & Hills, T. T. (2023). Quantifying the retention of emotions across story retellings. Scientific Reports, 13(1), 2448.

    https://doi.org/10.1038/s41598-023-29178-8

    und der Zusammenhang von Gruppenzugehörigkeit für den Glauben an (ich find sehr abergläubischen) Narrative von Extremisten wird untersucht, ist aber immer so Nebenbaustelle in der Forschung.

    Hier ist zumindest eine Meta-Analyse in der auch Narrative angesprochen werden und die Bedeutung von Gruppen.

    Gøtzsche-Astrup, O. (2018). The time for causal designs: Review and evaluation of empirical support for mechanisms of political radicalisation. Aggression and Violent Behavior, 39, 90–99. https://doi.org/10.1016/j.avb.2018.02.003

    Wenn das für Euch interessant ist, würde ich mal nach besseren Quellen suchen.

    LG Corinna

  2. Dr. Stephanie Dreyfürst

    Liebe Corinna, das ist in der Tat sehr interessant – habe ganz herzlichen Dank für deinen Kommentar. Lass uns gerne dazu im Gespräch bleiben, denn das ist ja immer einmal wieder Thema in skeptischen Kreisen, also das (durchaus gespannte) Verhältnis zu Emotionen – im Übrigen sind diese ja in der Tat ein Grund, warum manche Menschen „lieber“ an esoterische Praktiken glauben, weil dort nämlich die besseren Geschichten warten und man eben auch auf der emotionalen Ebene angesprochen wird.

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