von Karoline Paschos
Immer wieder erleben wir in der Tiermedizin, dass neue Medikamente erst als Durchbruch gefeiert werden, nur um wenig später als „pharmakologische Sau” durchs mediale Dorf getrieben zu werden. Im Moment passiert genau das mit „Librela“, einer monatlich in der tierärztlichen Praxis verabreichten Injektion, die Hunden mit Osteoarthritis durch Schmerzreduktion zu neuer Lebensqualität verhilft.
Ausgehend von einem Artikel im Südkurier sorgt das erfolgreiche Schmerzmedikament für Hunde mit Arthrosebeschwerden aktuell für Diskussionen. Nicht nur, dass Hunde angeblich auf Grund der Injektion sterben würden, es wird auch behauptet, dass das Medikament nach zu wenig Forschung auf den Markt gekommen sei. Angeblich sei die verantwortliche Firma Zoetis von der FDA deswegen auch abgemahnt worden.

Der problematische Artikel aus dem Südkurier. Online ist er nicht mehr verfügbar.
Doch ist etwas dran an den Vorwürfen, „Librela” würde regelmäßig zu Todesfällen führen und die Pharmaindustrie versuche, dies mit Hilfe von Tierärztinnen und Tierärzten zu vertuschen?
Ich habe mich intensiver mit der Thematik befasst und kann hier nun einen sachlichen und informierten Überblick über die Faktenlage bieten.
Chronische Schmerzen, beispielsweise hervorgerufen durch Arthrose (Osteoarthritis, OA), sind auch in der Veterinärmedizin ein wichtiges Thema. Die Lebensqualität soll bei älteren Tieren erhalten bleiben, aber genau wie bei Menschen muss bei der Wahl der Therapie auf etwaige organische Einschränkungen geachtet werden.
Wie funktioniert das (angebliche) Teufelszeug „Librela”?
Nervenwachstumsfaktoren (NGF) lassen Nervenverbindungen entstehen und steigern die Produktion und Freisetzung von Stoffen zur Reizweiterleitung und Entzündungsförderung. Das ist zwar grundsätzlich sehr nützlich, allerdings werden bei einer andauernden Reizung (z.B. bei Arthrose) zu viele Entzündungsmediatoren freigesetzt, die Nerven werden so anhaltend stimuliert und Schmerzsignale ans Gehirn geschickt – der Beginn von chronischen Schmerzen also.
Diese NGFs durch monoklonale Antikörper zu hemmen, stellt in der Veterinärmedizin eine wirksame und vor allem auch nebenwirkungsarme Behandlungsform dar. In der Humanmedizin ist dieser Ansatz zumindest in der EU jedoch noch nicht zugelassen. Zuletzt ist diese Therapieart 2021 bei der EMA (Europäischen Arzneimittelagentur) durchgefallen, da bei Proband:innen zu häufig schnell fortschreitende Osteoarthritis (PROA), Parästhesien (Missempfindungen) und Hypästhesien (herabgesetztes Druck- und Berührungsempfinden) festgestellt wurden.
Die Firma Zoetis entwickelte für Hunde den caninen monoklonalen Antikörper „Bedinvetmab„, der unter dem Handelsnamen „Librela” verkauft wird, und der nach einer – für die Kleintiermedizin sehr groß angelegten – klinischen Studie auch zugelassen wurde. Bevor ein Medikament zugelassen wird, muss in der Regel die Verhältnismäßigkeit zwischen möglichen Nebenwirkungen und der angestrebten Wirksamkeit geprüft werden.
Die FDA (U.S. Food and Drug Administration) ist die US-amerikanische Behörde, die für die Zulassung und Überwachung von Arzneimitteln verantwortlich ist. Sie prüft, ob neue Medikamente sicher, wirksam und von hoher Qualität sind, bevor sie auf den Markt kommen dürfen.
Im direkten (unzulässigen) Vergleich mit der Humanmedizin können die Studien zu Librela klein erscheinen. Es wurden jedoch mehr als 550 Hunde in den USA und in der EU mit einem durchschnittlichen Alter von 8,9 Jahren mit Bedinvetmab, dem Wirkstoff von Librela, behandelt und anschließend untersucht – damit handelt es sich bei den Studien um zwei der bisher größten, die überhaupt je in der Kleintiermedizin durchgeführt wurden.
Die Tiere, für die Librela gedacht ist, sind eher älteren Semesters und schon alleine deswegen oft multimorbide, was bedeutet, dass sie gleichzeitig an mehreren Krankheiten leiden oder viele unterschiedliche Beschwerden mitbringen. Diese können von Herzproblemen über Nierenerkrankungen bis hin zu Tumoren reichen.
Ob die akute Erkrankung eines Tieres tatsächlich durch die Librela-Injektion verursacht wurde (Kausalität) oder ob lediglich ein zeitlicher Zusammenhang besteht (Korrelation), lässt sich nur schwer eindeutig feststellen.
Bei Librela treten schwere Nebenwirkungen selten (d.h. bei 1 – 10 von 10.000 Behandelten) oder gar nur sehr selten (bei weniger als 1 von 10.000 Behandelten) auf. Wenn nun in einer Studie vielleicht „nur“ 250 Tiere das Medikament tatsächlich bekommen (im Gegensatz zur Placebo-Gruppe, die kein Medikament erhält), ist es extrem unwahrscheinlich, dass bei einer vergleichsweise immer noch überschaubaren Anzahl an Tieren alle Arten von Nebenwirkungen auftreten und man gleichzeitig einen Zusammenhang mit dem Medikament feststellen kann.
An dieser Stelle kommt die sogenannte Pharmakovigilanz ins Spiel, was bedeutet, dass Medikamente auch noch nach einer Zulassung durch Tierärzt:innen, Pharmafirmen und Besitzer:innen weiter überwacht und Meldungen über Nebenwirkungen u.ä. von verantwortlichen Stellen ausgewertet werden.
Anders als oft in den Medien dargestellt, ist den Pharmaunternehmen tatsächlich daran gelegen, dass unerwünschte Arzneimittelwirkungen gemeldet werden.
Um realistische Nutzen-Risiko-Analysen durchführen zu können, brauchen die Pharmafirmen auch nach der Zulassung Informationen zur Verträglichkeit der Produkte. Jegliche verdächtige Reaktionen auf die Gabe eines Medikaments können entweder direkt an die Unternehmen oder an nationale beziehungsweise internationale Stellen gemeldet werden.
Derzeit gibt es allerdings keine Hinweise darauf, dass eine Blockade der „mature NGF”, auf die Bedinvetmab beim Hund wirkt, Autoimmunkrankheiten auslösen könnte, oder es in der empfohlenen Dosierung zu dauerhaften Nervenschädigungen kommen würde.
Was allerdings stimmt, ist, dass das Medikament die Lebensqualität der Tiere deutlich steigern kann. Fakt ist auch, dass die Sterblichkeit der mit Librela behandelten Tiere im Vergleich zu anderen Hunden mit Osteoarthrose, die kein Librela bekommen, nicht erhöht ist.
Aber die FDA hat doch Zoetis abgemahnt, oder?
Nein, hat sie nicht.
Bei der Evaluation durch die FDA wird untersucht, wie wahrscheinlich die gemeldeten Krankheitsbilder und Auffälligkeiten tatsächlich durch Bedinvetmab hervorgerufen wurden. Es kam heraus, dass, mit Blick auf den Zeitpunkt der Medikamentengabe und andere Faktoren, es in den allermeisten Fällen zwar durchaus möglich (possible) ist, dass Librela die Ursache für die Auffälligkeiten war; wahrscheinlich (probable) war es in viel weniger Fällen, und reproduzierbar eigentlich kaum. Die FDA fordert also lediglich dazu auf, wie üblich weiterhin Meldung über mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen zu machen.
Übersicht über die von der FDA erhobenen Daten
Es darf nicht vergessen werden, dass es sich bei Librela um ein Medikament handelt, das einen tatsächlichen Wirkstoff enthält. Anders als bei “alternativen” Methoden mit unseriösen Heilsversprechen, die ohne wirksame Inhaltsstoffe auskommen, kann hier keine Garantie völliger Risikolosigkeit gegeben werden.
Bei wirksamen Medikamenten sind Nebenwirkungen und Unverträglichkeiten immer möglich. Natürlich wünscht sich dies niemand für das eigene Tier, und Vorwürfe gegen die behandelnden Tierärzt:innen oder die Pharmaindustrie als Ganzes sind dann schnell gemacht.
Auch deryoutubetierarzt alias Dr. Karim Montasser hat zu dem Thema ein informatives Video gemacht, in dem er die Sachlage kurz und prägnant erklärt.
Allen Tierhalter:innen, die sich um das Wohl ihres Haustieres sorgen, rate ich, sich evidenzbasiert von der Tierärztin oder dem Tierarzt ihres Vertrauens über mögliche Risiken und Nebenwirkungen von Medikamenten aufklären zu lassen. Sollte tatsächlich eine unerwünschte Arzneimittelwirkung eintreten, dann empfehle ich, diese auch zu melden. Wo das in Österreich, Deutschland und der Schweiz gemacht werden kann, verlinke ich hier:
Meldung Pharmakovigilanz:
Österreich:
Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen
Deutschland:
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit
Schweiz:
Quellen zu den Fakten:
„Zu viel des Guten: Schmerzmittel schädigte die Gelenke“, Deutsches Ärzteblatt (30.September 2010)
Rößler, Annette „Tanezumab fällt bei der EMA durch“, Pharmazeutische Zeitung (21.September 2021)
„FDA notifies veterinarians about adverse events reported for Librela“, FDA (16.Dezember 2024)
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