Totgesagte leben länger: Wie RFK Jr. einen gefährlichen Anti-Vaxxer-Mythos wiederbelebt

(Lesedauer ca. 13 Minuten)

Ostern ist erst ein paar Wochen her und schon wartet die nächste Auferstehungsgeschichte auf uns: Robert F. Kennedy Jr. hat es sich augenscheinlich zur Aufgabe gemacht, einen in wissenschaftlichen Kreisen längst begrabenen Mythos wieder aufleben zu lassen.

Anfang des Monats kündigte der unter Trump zum US-Gesundheitsminister aufgestiegene Kennedy-Spross eine hanebüchene „Forschungsinitiative“ an. Bis September werde eine Forschergruppe seines Ministeriums die Ursache der „Autismus-Epidemie“ identifiziert haben, die RFK Jr. regelmäßig herbeifantasiert. Die von ihm handverlesenen und beauftragten Forscher sollen außerdem Wege finden, diese „Epidemie“ zu beenden. 

Wer es bisher geschafft hat, durch sein Leben zu gehen, ohne von RFK Jr. zu hören, könnte es vielleicht für eine gute Idee halten, dass er Forschung zu den Ursachen von Autismus ankündigt und fördern will. Schließlich könnte Forschung dabei helfen, Autismus besser zu verstehen. Und je früher die Ergebnisse vorliegen, desto besser! Oder etwa nicht? Nun, nicht mit RFK Jr., und schon gar nicht mit dieser vermeintlichen Forschungsinitiative. 

Rosinenpickerei statt echter Forschung

Der 71-Jährige ist kein unbeschriebenes Blatt und blickt auf eine unrühmliche Geschichte zurück (wie wir auch schon hier im Blog berichtet haben). Seine unwissenschaftlichen und völlig unhaltbaren Aussagen zu verschiedensten Themen der Gesundheitspolitik – insbesondere zu Impfungen – haben weltweit für Empörung gesorgt und sogar Menschen das Leben gekostet. Dass er, ein unerschütterlicher Verteidiger von Andrew Wakefield, nun Forschung zu den Ursachen von Autismus ankündigt, lässt nichts Gutes ahnen. 

Auch dass er schon vor Beginn des Projekts zu wissen scheint, bis wann Ergebnisse greifbar sein werden, ist kein Anlass zur Vorfreude, sondern ein massives Warnsignal. Dieses Versprechen allein wirft grundlegende Fragen zur Integrität der Gruppe auf: In der Wissenschaft beginnt alles mit einer Frage – nicht mit einer Antwort. Es gilt also als völlig unprofessionell, Ergebnisse schon vor Beginn einer Studie klar zu prognostizieren und so eindeutig zu terminieren. Erkenntnisse aus Studien halten sich nicht an Terminkalender.

https://www.rollingstone.com/culture/culture-features/rfk-jr-anti-vaxxer-history-1235169084/

Dass ausgerechnet ein von RFK Jr. eingesetztes Team plötzlich einen Durchbruch in einem Feld erzielen soll, in dem seit Jahrzehnten geforscht wird, ist vollkommen absurd und deutet nur auf eines hin: Rosinenpickerei. Wer sich, statt ergebnisoffen zu arbeiten, zur Aufgabe gemacht hat, lediglich Daten zusammenzutragen, die eine schon im Voraus etablierte Meinung bestätigen sollen, tut sich mit der Einhaltung solcher Deadlines allerdings deutlich leichter. Und dass es RFK Jr. genau darum geht, ist eindeutig.

Umstrittene Studienleitung mit Verbindungen zur Anti-Impf-Bewegung

Auch das Personal, das RFK Jr. für dieses Projekt ausgewählt hat, bestätigt diesen Eindruck. Die Arbeit soll von David Geier geleitet werden, einem Arzt, der in der Vergangenheit durch unethische Forschungsmethoden und die Verbreitung längst widerlegter Thesen auffiel. Gemeinsam mit seinem Vater Mark Geier veröffentlichte er mehrfach Studien, die einen Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus behaupten – allesamt wissenschaftlich nicht haltbar. David Geier selbst ist nicht approbiert und wurde 2012 in Maryland mit einer Geldstrafe belegt, weil er ohne medizinische Zulassung praktizierte, seinem Vater wurde die Approbation entzogen, nachdem sie medizinische Behandlungen und Versuche an Kindern mit Autismus durchgeführt hatten, bei denen Hormonpräparate zur Anwendung kamen.

Neben diesen Skandalen macht auch Geiers Verbindung zu bekannten Anti-Impf-Aktivisten wie Andrew Wakefield, dessen 1998 veröffentlichte Studie einen (inzwischen widerlegten) Zusammenhang zwischen der MMR-Impfung (also der Kombinationsimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln) und Autismus behauptete, klar, dass hier von Objektivität und der Einhaltung wissenschaftlicher Mindeststandards nicht im Ansatz die Rede sein kann.

Auch Wakefields Studie wurde als manipuliert entlarvt, weswegen sie zurückgezogen wurde und er letztlich seine ärztliche Zulassung verlor. Dennoch sind seine Ideen in Impfgegnerkreisen nach wie vor hoch angesehen, und auch RFK Jr. ist von deren Richtigkeit überzeugt. Man muss also wirklich kein:e Hellseher:in sein, um vorauszusagen, zu welchen Erkenntnissen die Forschungsgruppe unter Geiers Leitung wohl kommen wird.

RFK Jr. und der Impfstreit – der Kopf eines Kabinetts pseudowissenschaftlicher Lügner

Wie oben erwähnt, ist Kennedy selbst kein Unbekannter, wenn es um hitzige Diskussionen rund ums Impfen geht. Schon 2005 sorgte er mit einem Artikel für Aufsehen, in dem er einen Zusammenhang zwischen Impfstoffen und Autismus behauptete. Der Text wurde später von Rolling Stone und Salon zurückgezogen, doch Kennedy blieb bei seiner Haltung. Auch bei einer Senatsanhörung im Januar 2025 wich er einer klaren Aussage zum Zusammenhang von Impfungen und Autismus aus – ein Bekenntnis zum wissenschaftlichen Konsens kam ihm bisher nicht über die Lippen.

Auch ein Anfang dieses Jahres bei FOX News veröffentlichter Artikel, den viele seiner Kritiker positiv aufnahmen und der häufig als Zeichen eines Umdenkens (miss)verstanden wurde, folgt genau diesem Muster. Der Text war Kennedys Reaktion auf einen Ausbruch der Masern in Texas, der ein Kind das Leben gekostet hatte. Ja, hier ist sinngemäß von Herdenimmunität und der Wirksamkeit der Masern-Impfung die Rede, die FOX News Redaktion hat genau diesen Absatz auch visuell hervorgehoben. Dennoch darf man – besonders bei RFKs unrühmlicher Vorgeschichte – nicht ignorieren, in welchen Kontext er diese Aussage stellt.

https://www.seattletimes.com/seattle-news/health/robert-f-kennedy-jr-has-a-long-record-of-promoting-anti-vaccine-views/

Er betont direkt vor dieser Aussage, dass die Entscheidung für oder gegen eine Impfung stets eine individuelle Entscheidung sei, er widmet der Ernährung und der Rolle von Vitaminpräparten mehr Raum als der Impfung selbst, und er behauptet ausdrücklich, dass „eine gute Ernährung nach wie vor die beste Abwehr gegen die meisten chronischen und ansteckenden Krankheiten“ sei. Er betont außerdem, dass die Sterblichkeit in Verbindung mit Masern durch Verbesserungen bei Hygienestandards und Ernährung im Jahr 1960 schon um 98% gesunken gewesen sei, bevor die Impfung überhaupt eingeführt wurde.

Auch sät er Zweifel an der Gefährlichkeit der Masern, wenn er davon spricht, dass die erfassten Zahlen zu Todesfällen sich auf Personen, die „mit oder an Masern“ gestorben sind, beziehen. Ein rhetorischer Trick, der vielen von uns noch von der COVID-Pandemie bekannt sein dürfte.

Seine – mal mehr, mal weniger versteckte – impfkritische Haltung drückt er aber nicht nur in Artikeln, auf Podien und in Podcast-Studios aus, sie ist auch institutionell verankert: Kennedy war in der Gründung der Organisation Children’s Health Defense involviert, die immer wieder durch die Verbreitung von Falschinformationen über Impfstoffe auffiel.

2021 versuchte die Organisation sogar, die Zulassung von COVID-19-Impfstoffen in den USA zu kippen. Kennedy selbst erklärte mehrfach öffentlich, es gebe „keine sicheren und wirksamen Impfstoffe“ und beteiligte sich an der von der Organisation veröffentlichten Hetzschrift Cause Unkown: the Epidemic of Sudden Deaths in 2021 & 2022, für die er auch das Vorwort schrieb. Ziel des Pamphlets ist es, die COVID-Impfung für eine Sammlung unzusammenhängender Todesfälle verantwortlich zu machen und die Impfung so als tödliche Gefahr darzustellen.

Im Dezember 2022 bewarb Kennedy das Buch bei Twitter und behauptete, COVID Impfungen seien „ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“ Selbst seine eigene Cousine Caroline Kennedy sprach sich öffentlich gegen seine Berufung als Gesundheitsminister aus – mit Verweis auf seine mangelnde Fachkompetenz und seine Neigung zu Verschwörungstheorien.

Kennedy und die Wissenschaft – eine schwierige Beziehung

Dieser Hang zum Verschwörungsdenken schlägt sich auch jenseits der Impfthematik nieder. Laut Deutschlandfunk äußerte er etwa, WLAN könne Krebs auslösen, oder dass Umweltgifte Kinder „zu Transgendern“ [sic!] machen würden.

Auch die Verschwörungstheorie zu Chemtrails und die Leugnung etablierter Erkenntnisse zu HIV/AIDS finden sich in seinem Repertoire. Das Nachrichtenportal EE News dokumentierte zahlreiche weitere Falschbehauptungen über Viren wie HIV, RSV oder Vogelgrippe. Besonders heikel: Seine Aussage, COVID-19 sei ethnisch selektiv und verschone aschkenasische Juden sowie Chinesen – eine Behauptung, die zurecht als antisemitisch und rassistisch kritisiert wurde.

Dieses Muster der pauschalen Skepsis gegenüber wissenschaftlichem Konsens sollten ihn als Initiator einer Autismus-Studie vollkommen disqualifizieren.

Kritik von allen Seiten – Wissenschaft und Öffentlichkeit schlagen Alarm

Die Ankündigung von Kennedys Autismus-Studie blieb nicht unbeantwortet. Wissenschaftler:innen, Medien und Selbsthilfeorganisationen äußerten massive Bedenken. Das Autistic Self Advocacy Network (ASAN) sprach von „alarmierenden“ und „unwahren“ Aussagen und kritisierte die Studie als absehbar manipulativ. Die Berufung David Geiers wertete ASAN als Signal für eine politisch gesteuerte Pseudoforschung.

Peter Marks, früher bei der FDA tätig, warf Kennedy vor, betroffenen Familien „falsche Hoffnungen“ zu machen. Auch Präsident Trump schürte die Debatte erneut, indem er den längst widerlegten Impf-Autismus-Zusammenhang öffentlich wiederholte; eine Bestärkung, die bei vielen Menschen mit Autismus und deren Familien Angst auslöst, wie auch Robert Trait im Guardian berichtet.

Selbst die NIH, die für die Datenerhebung verantwortlich sind, distanzierten sich vorsichtig – der Leiter Jay Bhattacharya dämpfte die Erwartungen und verwies auf etablierte Auswahlverfahren und Datenschutzrichtlinien. 

Zusätzliche Empörung lösten Kennedys haltlose und stigmatisierende Aussagen über Menschen mit Autismus aus, denen er pauschal unterstellte, „niemals Steuern zahlen“ oder „ein Gedicht schreiben“ zu können – also keine in seinen Augen nennenswerten Beiträge zur Gesellschaft zu leisten. Entmenschlichende Äußerungen, die wenig Zweifel daran lassen, welchen Wert RFK Jr. Personen zumisst, die nicht in sein restriktives, rückwärtsgewandtes Weltbild passen, und die berechtigt scharfe Kritik hervorriefen.

https://www.youtube.com/watch?v=8H34jcpEsFs

Auch John Oliver ging in der aktuellen Folge seiner Show Last Week Tonight auf diese Aussagen ein und schloss mit einer entschiedenen, klaren Antwort: „F*ck You!“

Was die Forschung wirklich sagt – Autismus, Fakten und Mythen

Während Kennedy falsche Fährten legt und sie als Wissenschaft zu tarnen versucht, sind sich Expert:innen schon lange einig:

Es gibt keinen wissenschaftlich belegbaren Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus.

Vielmehr zeigt die Forschung, dass genetische Faktoren eine zentrale Rolle in der Entwicklung von Unterschieden in der Struktur und Funktion des Gehirns spielen. Mehrere Gene wurden identifiziert, die die Wahrscheinlichkeit für Autismus erhöhen können – in komplexem Zusammenspiel mit möglichen Umweltfaktoren. An diesen Zusammenhängen wird weiterhin geforscht. Auch die Zunahme von Diagnosen lässt sich recht einfach erklären: Es handelt sich nicht etwa, wie RFK Jr. immer wieder behauptet, um eine „Epidemie“ oder gar Impfschäden, sondern um das Ergebnis besserer Diagnosemethoden, veränderter Kriterien und einer – längst überfälligen – höheren gesellschaftlichen Sensibilität.

RFK Jr. fehlt also auch in diesem Bereich jegliche Kompetenz und Neutralität. Seine Initiative, die er als Forschungsbeitrag zu verkaufen versucht, ist aber bestenfalls eines: glasklares „Science Washing“, also ein Versuch, seiner Agenda einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben und seine gefährlichen politischen Vorstöße so zu rechtfertigen.

Wenn Ergebnisse schon vor der Forschung feststehen und umstrittene Figuren federführend sind, steht nicht Erkenntnisgewinn, sondern eine politische Agenda im Vordergrund. Was es wirklich braucht, ist nicht die Wiederbelebung alter, längst beerdigter Mythen, sondern evidenzbasierte Aufklärung zu Impfungen und Infektionskrankheiten sowie ergebnisoffene und ethische Forschung zu Autismus.

Der Vorstoß, den RFK Jr. in den USA gerade wagt, wird auch die Impfgegner im deutschen Sprachraum beflügeln, dessen sollten wir uns bewusst sein. Es gibt also alle Hände voll zu tun.

Quellen:

Zum Weiterlesen und -schauen:

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