Es goss in Strömen an diesem Herbsttag. Der Dauerregen hatte die Erde weich gemacht. So kamen die Totengräber mit ihrer Arbeit schnell voran.
Als sie schließlich den Sarg freigelegt hatten, sahen sie fragend zu dem Geistlichen am Rande des Grabes hinauf. Der bekreuzigte sich, dann nickte er. Mit ihren Spaten hebelten die beiden Männer den aus Holzbrettern zusammengezimmerten Schrein auf. Dann schlugen auch sie voller Schrecken das Kreuz: ein Vampir!
Obwohl der Tote schon seit mehreren Wochen unter der Erde lag, war an seinem Körper kein Anzeichen von Verwesung zu erkennen. Im Gegenteil, der Mann, der zu Lebzeiten eher hager gewesen war, wirkte jetzt rundlich und wohl genährt. Seine Oberlippe war zu einem hässlichen Grinsen hochgezogen, das die rötlich schimmernden Zähne freilegte. Aus den Mundwinkeln lief ein dünner Strom einer roten Flüssigkeit, und man hörte ein leises, aber vernehmliches Schmatzen.
Mehr noch: Eine verräterische Beule im Leichenhemd deutete auf eine Erektion hin. Hatte der Tote vor kurzem noch gelebt?
So oder so ähnlich hat es sich wohl abgespielt, als in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts im südöstlichen Europa die Angst vor Vampiren wie eine Seuche um sich griff.
Eines der ältesten noch erhaltenen Dokumente stammt aus dem Jahr 1725, es ruht im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv und erzählt von neun mysteriösen Todesfällen im Dorf Kisolova im heutigen Serbien. Die Bürger schildern darin ihr Problem der Militärverwaltung in Belgrad.
Schuld an den Todesfällen sollte ein gewisser Peter Plogojowitz sein, einer der Dorfbewohner. Zur Tatzeit war der angesehene Bauer aber schon seit zehn Wochen tot. Die Militärverwaltung entsandte einen Kameralprovisor, einen Beamten im Gesundheitsdienst, zur Ermittlung nach Kisolova. Dieser ließ das Grab von Peter Plogojowitz öffnen – und fand eine gut erhaltene Leiche vor. Außerdem war frisches Blut an den Lippen des Verstorbenen.
Die Bevölkerung glaubte, dass Vampire aus ihren Gräbern stiegen, um den Lebenden das Blut auszusaugen, um davon zu leben. Außerdem glaubten die Bauern, dass Vampire Seuchen und Krankheiten verbreiten würden.
Nach einigen ungeklärten Todesfällen entstand eine regelrechte Vampir-Hysterie in abgelegenen Dörfern Serbiens und diese Geschichten drangen bis an den Hof nach Wien.
Die junge Erzherzogin Maria Theresia schickte daraufhin Gerard van Swieten, ihren Leibarzt, los, um mit dem Aberglauben aufzuräumen.
Von jenem Gerard van Swieten erzählt heute das WDR Zeitzeichen:
Ein medizinischer Aufklärer im Kampf gegen Vampire

Statt Knoblauch hatte er solide Argumente im Gepäck, statt silberner Kugeln medizinische Gutachten, und wenn es um Untote ging, war seine Mission nicht, sie zu pfählen, sondern die Angst vor ihnen zu beerdigen,
erzählt der Journalist Nik Berger.
Und das gelang dem Holländer erstaunlich gut. Van Swieten untersuchte die Leichen aufs Gründlichste und kam zu dem Schluss, dass die unerwartet langsame Verwesung der Leichen auf natürliche Ursachen wie Temperatur, Bodenbeschaffenheit und Krankheiten der Verstorbenen zurückzuführen sei.
Auch andere „Vampirzeichen“ können wir mit forensischer Wissenschaft erklären:
- Haare und Fingernägel
Immer wieder gibt es Berichte von aufgebahrten Leichnamen, deren Barthaare angeblich von Tag zu Tag länger werden. Und Mumien scheinen unnatürlich lange Fingernägel zu haben, als hätten diese Körperzellen nach dem Tod des Menschen noch eine Weile fortgelebt.
Das liegt daran, dass das Fleisch der Finger langsam in sich zusammenfällt, der Nagel aber die gleiche Größe behält. Auch die Gesichtshaut eines Leichnams schrumpft, weshalb nach und nach die Barthaare zum Vorschein kommen. Nicht die Haare und Nägel wachsen also, sondern der Rest des Körpers wird kleiner.
- Unverweslichkeit
Wissenschaftler kennen eine Reihe natürlicher Vorgänge, die zur dauerhaften Erhaltung einer Leiche führen können. Ob Verwesung oder Fäulnis – beides passiert, wenn organische Substanz durch Pilze, Bakterien und Insekten in einfache, anorganische Verbindungen verwandelt wird. Alles, was diese Vernichtungsarbeit behindert, kann zu einer natürlichen Konservierung führen.
Bestimmte Luft- und/oder Bodenverhältnisse können einem Leichnam zum Beispiel das Gewebswasser entziehen und damit für lange Zeit konservieren. Auch dicht geschlossene Eichensärge können natürliche Mumien entstehen lassen – oder ständig bewegte trockene Luft, was zum Beispiel bei Suiziden auf zugigen Dachböden vorkommt.
Häufiger als Trockenmumien sind in unseren Breitengraden die so genannten Fettwachsleichen. Wachsleichen entstehen, wenn bei Sauerstoffmangel und Feuchte und Kühle die Fette des toten Körpers „verseifen” (Saponifikation). Wie kommt das? Tote verwesen durch körpereigene Enzyme aus der Darmflora. Dabei entstehen im Leichnam Temperaturen von rund 30 Grad Celsius. Bei leichten Humus- oder trockenen Sandböden sind nach fünf Jahren nur noch die Gebeine übrig.
In feuchtem Milieu, etwa auf Lehmböden mit Stauwasser, wird der Zerfall dagegen stark behindert. Die in den Sarg eindringende Feuchte wirkt wie Kühlflüssigkeit. Die Aktivität der Enzyme erlahmt. Ergebnis: Die Fettmoleküle schwemmen aus und verhärten sich unter der Haut des Leichnams zu einer krümeligen und modrig riechenden Substanz, dem Fettpanzer, der sich kaum noch verändert.
- Flüssiges Blut
In den ersten Stunden nach dem Tod macht das Blut nur geringfügige chemische Veränderungen durch. Vor allem bei plötzlichen Todesfällen bleibt das Blut flüssig. Zudem bestehen wir fast nur aus Wasser, sodass die vielfach beschriebene rotebraune Flüssigkeit ebenso gut Fäulnisflüssigkeit sein kann, vermischt mit Hämoglobin und farbigen Bakterien. Sie tritt aus Mund und Nase aus, weil die Fäulnisgase sie durch diese Öffnungen treiben.

- Wohlgenährtes Aussehen
Wenn man stirbt, beginnen sich Bakterien zu vermehren, ganz besonders in den Eingeweiden. Beim Wachsen der Bakterien entsteht Gas, was den Körper aufgedunsen und angefüllt aussehen lässt.
Entweichen diese Fäulnisgase durch den Kehlkopf, entsteht dabei ein Geräusch, das wie ein Seufzen klingt. Jeder Leichenbeschauer kennt beispielsweise den Laut, der einem Verstorbenen entweichen kann, welcher bei der Suche nach Rückenverletzungen aufgerichtet wird.
- Postmortale Erektion
Dabei handelt es sich um einen Blutstau, verursacht durch das durch im Körper absackende Blut, das nicht mehr durch den Blutkreislauf und den Herzdruck im Körper verteilt wird. Das Blut sammelt sich an den niedrigsten Stellen des Körpers an und erzeugt dort Ödeme und Schwellungen. Der niedrigste Punkt sind die Füße, die sich bis zu ihrer elastischen Belastungsgrenze mit Blut füllen, danach staut sich das Blut die Beine aufwärts bis in die Hüften.
Da das Blut von hier aus nicht mehr weiter nach unten vordringen kann, sammelt es sich unter anderem im Penis, der mit erektilem Gewebe ausgestattet ist und in Folge des Bluteinstromes erigiert. Leichen, deren Grab nach einiger Zeit wegen übernatürlicher Verdachtsmomente geöffnet wird, liegen darüber hinaus hin und wieder in einer Körperstellung, die nicht mehr der bei der Einsargung entspricht.
Der Grund: Leichengase haben die zeitweise geblähten Glieder verrutschen lassen.

Statt auf Vampire stößt Gerard van Swieten nur auf „abergläubische Leichtgläubigkeit, Einfalt und Unwissenheit“. Darauhin verkündet Maria Theresia am 1. März 1775 einen „Vampir-Erlass“, der „Grabschändung, Leichenfledderei und Vampirexekutionen“ unter Strafe stellt:
Das wirkt. Der kaiserliche Groll macht dem Vampirspuk ein Ende. Wenigstens vorerst.
Van Swieten stirbt 1772. Aber in zahllosen Büchern und Filmen lebt er bis heute fort – als Vorbild für Abraham van Helsing („Dracula“) und Prof. Eberhart von Franz („Nosferatu“):
Der große Unterschied: Van Helsing kämpft im Roman mit Waffen und Theatralik, Gerard van Swieten hat mit Wissenschaft und Vernunft dem Spuk ein Ende gesetzt.
Zum Weiterlesen:
- Berger, Nik „Geburtstag des Vampirjägers Gerard van Swieten“ wdr (7. Mai 2025)
- Harder, Bernd „Skeptiker, Vampirjäger und der Aberglaube gestern und heute“ skeptix (9. Januar 2025)
- Sommer, Michael „Vampirjäger der Habsburger“zdf (26. Oktober 2024)
- Video „Gibt es Vampire? Van Swietens Kampf gegen den Aberglauben“ Stories of Austria (27. Oktober 2024)
- Franz, Angelika „Der berühmteste Vampirjäger hatte ein reales Vorbild“t-online (31. Oktober 2022)
- Demmelhuber, Simon „Maria Theresia verkündet den Vampir-Erlass“ BR (1. März 2018)
- Harder, Bernd „Sie sind mitten unter uns – Die Wahrheit über Vampire, Zombies und Werwölfe“ Herder (2012)
Titelfoto: Pixabay/Pexels
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