Klar:
Zahlreiche nichtärztliche Osteopathieverbände fordern den eigenständigen Beruf des Osteopathen, der ohne Heilpraktikererlaubnis und ohne ärztliche Verordnung behandeln darf,
hieß es in dem Sachstandsbericht „Das Berufsbild des Osteopathen“ von 2020 der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags.
Die neue Bundesregierung will dieser Forderung anscheinend entgegenkommen, wie man im Koalitionsvertrag (Seite 113) lesen kann:

Doch was heißt das genau? Das fragt sich Jana Gioia Baurmann bei Zeit-Online.
Derzeit darf Osteopathie in Deutschland nur von Ärzten und Heilpraktikern ausgeübt werden. Auch Physiotherapeuten müssen den „großen Heilpraktiker“ erwerben, wenn sie Patienten osteopathisch behandeln wollen. „Träte der Satz aus dem Koalitionsvertrag ein, würde sich das ändern“, schreibt Baurmann:
Die Osteopathie wäre als eigenständiger Heilberuf etabliert, ohne extra Heilerlaubnis. Braucht es das?
Rein formal betrachtet: ja. Denn selbst eine altgediente Funktionärin vom Verband der Osteopathen Deutschland (VOD) räumt in dem Zeit-Artikel den „Wildwuchs“ in ihrem Metier ein. Nichts sei geregelt:
In der Osteopathie tummeln sich viele Institute, Qualifikationen, Abschlüsse. Es gibt zum Beispiel D.O. BAO, eine von der Bundesarbeitsgemeinschaft Osteopathie geschaffene private Marke. Osteopathie lässt sich in Vollzeit auf Bachelor und Master studieren, ebenso ist eine berufsbegleitende Ausbildung in Teilzeit möglich, oder eine Weiterbildung über mehrere Wochenenden hinweg, eine Art Crashkurs.
So steht es auch in einem weiteren Sachstandsbericht der Wissenschaftlichen Dienste zu „Ausübung, Ausbildung und Studien“ der Osteopathie aus dem Jahr 2019:
In Deutschland ist der Beruf des Osteopathen gesetzlich nicht geregelt. Ebenso wenig sind Anforderungen an eine Ausbildung gesetzlich verankert.
Nun ist allerdings auch der „Beruf“ des Astrologen in Deutschland gesetzlich nicht geregelt – weil es sich schlicht um Nonsens handelt.
Und auch bei der Osteopathie ist das Problem nicht bloß der „Wildwuchs“, sondern auch die Evidenzlage, worauf Cordula Braun, Professorin für Physiotherapie an der Hochschule 21 in Buxdehude und Co-Sprecherin des Fachbereichs Gesundheitsfachberufe des Netzwerks Evidenzbasierte Medizin, bei ZON hinweist. Die sei nämlich nach wie vor „ernüchternd und unzureichend“.
Dass die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags bei einem der drei großen Teilbereiche der Osteopathie, den parietalen Techniken, „Hinweise für die Wirksamkeit“ sehen, ändert daran nichts. Denn für die viszerale Osteopathie gibt es „kaum“ wissenschaftliche Belege (Quarks), während die kraniosakrale Osteopathie sogar als „höchst spekulativ“ (Quarks) anzusehen ist.

Häufig sei gar nicht klar, „was genau eine osteopathische Behandlung eigentlich beinhaltet“, sagt Cordula Braun in dem Zeit-Artikel. Und das ist anscheinend auch gar nicht gewünscht, denn wunderbar selbstentlarvend macht der Osteopath Normen Wolke bei ZON deutlich, dass er rein gar nichts davon hält, Teilaspekte der Osteopathie auf ihre Evidenz hin zu untersuchen, „da es dem Konzept der Osteopathie von Andrew Taylor Still widerspricht“.
Das sei nämlich „ganzheitlich gedacht“:
Seinen einen Patienten an dem Mittwochmittag, den älteren Mann, behandelte Wolke parietal, viszeral sowie zum Abschluss auch kraniosakral. Alle Formen wirkten zusammen. Würde nach einer wissenschaftlichen Prüfung zum Beispiel ausschließlich die parietale Form übrig bleiben, hätte das mit Osteopathie nicht mehr viel zu tun.
Heißt:
Bei einer wissenschaftlichen Prüfung werde die Osteopathie als ganzheitliches Konzept „zerpflückt“, befürchten offenbar die osteopathischen Praktiker. Da kann der VDO noch so sehr mit seiner „Datenbank“ mit „mehr als 9.000 wissenschaftlichen Veröffentlichungen“ wedeln.
Wie der Satz „Die Osteopathie regeln wir berufsgesetzlich“ im Kolationsvertrag letztendlich gemeint ist, bleibt am Ende des Artikels offen. Auch der Bereichsleiter für evidenzbasierte Medizin beim Medizinischen Dienst Bund, Stefan Lange, hat darauf keine Antwort. Möglicherweise könnte es maximal darauf hinauslaufen, zu prüfen, was die parietale Osteopathie von der Physiotherapie unterscheide, und diese Methode – sofern sie sich wissenschaftlich belegen lässt – in die Physiotherapie zu integrieren. Damit wäre die Osteopathie aber mitnichten als Ganzes legitimiert.
Oder aber, Worst Case, die Politik versucht, an G-BA und IQWiG vorbei die Osteopathie in die Regelversorgung zu bekommen. Gewissermaßen als Anbiederung an die zahlreichen Fans der Pseudomedizin.
Dann würde sich das bewahrheiten, was Natalie Grams schon 2020 schrieb: dass die Osteopathie sich
… ohne valide Belege langsam in die therapeutische Praxis hineingeschmuggelt hat.
Zum Weiterlesen:
- Baurmann, Jana Gioia „Die mit den Händen heilen wollen“ zeit (25. Juni 2025)
- Wolz, Lea „Wie hilfreich ist Osteopathie?“ quarks (5. Oktober 2022)
- Science Cops „Die Akte Osteopathie: Heilen mit den Händen?“ wdr (15. Januar 2022)
- Podcast „Osteopathie“ Nachgefragt (8. August 2018)
Titelfoto: Freepik
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