Schmuggelt sich die Osteopathie ohne valide Belege langsam in die therapeutische Praxis?

(Lesedauer ca. 4 Minuten)

Klar:

Zahlreiche nichtärztliche Osteopathieverbände fordern den eigenständigen Beruf des Osteopathen, der ohne Heilpraktikererlaubnis und ohne ärztliche Verordnung behandeln darf,

hieß es in dem Sachstandsbericht „Das Berufsbild des Osteopathen“ von 2020 der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags.

Die neue Bundesregierung will dieser Forderung anscheinend entgegenkommen, wie man im Koalitionsvertrag (Seite 113) lesen kann:

https://www.koalitionsvertrag2025.de/

Doch was heißt das genau? Das fragt sich Jana Gioia Baurmann bei Zeit-Online.

Derzeit darf Osteopathie in Deutschland nur von Ärzt:innen und Heilpraktiker:innen ausgeübt werden. Auch Physiotherapeut:innen müssen den „großen Heilpraktiker“ erwerben, wenn sie Patient:innen osteopathisch behandeln wollen. „Träte der Satz aus dem Koalitionsvertrag ein, würde sich das ändern“, schreibt Baurmann:

Die Osteopathie wäre als eigenständiger Heilberuf etabliert, ohne extra Heilerlaubnis. Braucht es das?

Rein formal betrachtet: ja. Denn selbst eine altgediente Funktionärin vom Verband der Osteopathen Deutschland (VOD) räumt in dem Zeit-Artikel den „Wildwuchs“ in ihrem Metier ein. Nichts sei geregelt:

In der Osteopathie tummeln sich viele Institute, Qualifikationen, Abschlüsse. Es gibt zum Beispiel D.O. BAO, eine von der Bundesarbeitsgemeinschaft Osteopathie geschaffene private Marke. Osteopathie lässt sich in Vollzeit auf Bachelor und Master studieren, ebenso ist eine berufsbegleitende Ausbildung in Teilzeit möglich, oder eine Weiterbildung über mehrere Wochenenden hinweg, eine Art Crashkurs.

So steht es auch in einem weiteren Sachstandsbericht der Wissenschaftlichen Dienste zu „Ausübung, Ausbildung und Studien“ der Osteopathie aus dem Jahr 2019:

In Deutschland ist der Beruf des Osteopathen gesetzlich nicht geregelt. Ebenso wenig sind Anforderungen an eine Ausbildung gesetzlich verankert.

Nun ist allerdings auch der „Beruf“ des Astrologen und der Astrologin in Deutschland gesetzlich nicht geregelt – weil es sich schlicht um Nonsens handelt.

Und auch bei der Osteopathie ist das Problem nicht bloß der „Wildwuchs“, sondern auch die Evidenzlage, worauf Cordula Braun, Professorin für Physiotherapie an der Hochschule 21 in Buxdehude und Co-Sprecherin des Fachbereichs Gesundheitsfachberufe des Netzwerks Evidenzbasierte Medizin, bei ZON hinweist. Die sei nämlich nach wie vor „ernüchternd und unzureichend“.

Dass die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags bei einem der drei großen Teilbereiche der Osteopathie, den parietalen Techniken, „Hinweise für die Wirksamkeit“ sehen, ändert daran nichts. Denn für die viszerale Osteopathie gibt es „kaum“ wissenschaftliche Belege (Quarks), während die kraniosakrale Osteopathie sogar als „höchst spekulativ“ (Quarks) anzusehen ist.

https://www.zeit.de/arbeit/2025-06/osteopathie-alternativmedizin-gesetzliche-regulation-schwarz-rot

Häufig sei gar nicht klar, „was genau eine osteopathische Behandlung eigentlich beinhaltet“, sagt Cordula Braun in dem Zeit-Artikel. Und das ist anscheinend auch gar nicht gewünscht, denn wunderbar selbstentlarvend macht der Osteopath Normen Wolke bei ZON deutlich, dass er rein gar nichts davon hält, Teilaspekte der Osteopathie auf ihre Evidenz hin zu untersuchen, „da es dem Konzept der Osteopathie von Andrew Taylor Still widerspricht“.

Das sei nämlich „ganzheitlich gedacht“:

Seinen einen Patienten an dem Mittwochmittag, den älteren Mann, behandelte Wolke parietal, viszeral sowie zum Abschluss auch kraniosakral. Alle Formen wirkten zusammen. Würde nach einer wissenschaftlichen Prüfung zum Beispiel ausschließlich die parietale Form übrig bleiben, hätte das mit Osteopathie nicht mehr viel zu tun.

Heißt:

Bei einer wissenschaftlichen Prüfung werde die Osteopathie als ganzheitliches Konzept „zerpflückt“, befürchten offenbar die osteopathischen Praktiker:innen. Da kann der VDO noch so sehr mit seiner „Datenbank“ mit „mehr als 9.000 wissenschaftlichen Veröffentlichungen“ wedeln.

Wie der Satz „Die Osteopathie regeln wir berufsgesetzlich“ im Kolationsvertrag letztendlich gemeint ist, bleibt am Ende des Artikels offen. Auch der Bereichsleiter für evidenzbasierte Medizin beim Medizinischen Dienst Bund, Stefan Lange, hat darauf keine Antwort. Möglicherweise könnte es maximal darauf hinauslaufen, zu prüfen, was die parietale Osteopathie von der Physiotherapie unterscheide, und diese Methode – sofern sie sich wissenschaftlich belegen lässt – in die Physiotherapie zu integrieren. Damit wäre die Osteopathie aber mitnichten als Ganzes legitimiert.

Oder aber, Worst Case, die Politik versucht, an G-BA und IQWiG vorbei die Osteopathie in die Regelversorgung zu bekommen. Gewissermaßen als Anbiederung an die zahlreichen Fans der Pseudomedizin.

Dann würde sich das bewahrheiten, was Natalie Grams schon 2020 schrieb: dass die Osteopathie sich

… ohne valide Belege langsam in die therapeutische Praxis hineingeschmuggelt hat.

Zum Weiterlesen:

Titelfoto: Freepik

Kommentare

3 Antworten zu „Schmuggelt sich die Osteopathie ohne valide Belege langsam in die therapeutische Praxis?“

  1. Stephanie Merkel

    Wie bei allen therapeutischen Maßnahmen ist die Studienlage schwierig. Es gibt keine doppelblind Studien (Therapeuten sowie Patienten merken eben ob sie angefasst werden oder nicht) und auch die Teilnehmerzahl ist limitiert,da eine ostheopathische Behandlung wenigstens 30 Minuten in Anspruch nimmt. Daher kann ein Osteopath:In keine Studien mit nahezu tausend Teilnehmenden stemmen

    Im Vergleich zu pharmakologischen Studien werden somit osteopathische Studien immer weniger aussagekräftig und belastbar sein.

    Es wäre aber sehr interessant mal osteopathische Intervention mit ärztlich orthopädischer Intervention zu vergleichen. In Münster gab es hier zb mal ein Projekt,wo ein Osteopath nahe zu alle Patienten, die die orthopädische Uniklinik aufsuchten untersucht hatbund ein Befund erstellt. Dieser wurde in einem verschlossenen Umschlag in der Patientenakte verwahrt bis die Patienten mit ärztlicher Diagnose entlassen wurden. Daraufhin wurden die Umschläge geöffnet. Ergebnis war, dass die Übereinstimmung der Diagnosen bei um die 90% lag und während die entstanden Kosten nur ca 10% betrugen.

    Die Frage ist also – somllten wir weiterhin unseren Fokus auf die unpersönliche,umständliche und teure apperative Medizin setzen oder erstmal „Hand anlegen“ die jahrhunderte alten Tests und Behandlungen anwenden und erst auf die apperative Medizin umschwenken,wenn keine schlüssige Erklärung gefunden wird?

  2. Bernd Harder

    @Stephanie Merkel:

    „In Münster gab es hier zb mal ein Projekt“

    Wo finden wir das?

    „Die Frage ist also – somllten wir weiterhin unseren Fokus auf die unpersönliche,umständliche und teure apperative Medizin setzen oder erstmal „Hand anlegen“ die jahrhunderte alten Tests und Behandlungen anwenden und erst auf die apperative Medizin umschwenken,wenn keine schlüssige Erklärung gefunden wird?“

    Den Satz verstehe ich nicht. „Jahrhunderte alte Tests und Behandlungen“ sind erst einmal nur „alt“ und nicht unbedingt besser:

    https://www.spektrum.de/kolumne/von-medizin-und-alternativen/1565596

    Und zwischen „Hand anlegen“ und „unpersönlicher,umständlicher und teurre apperativer Medizin“ gibt es erst mal noch ein breites Spektrum von Möglichkeiten.

    „Ergebnis war, dass die Übereinstimmung der Diagnosen bei um die 90% lag und während die entstanden Kosten nur ca 10% betrugen.“

    Auch das verstehe ich nicht. Patienten werden ja üblicherweise nicht mit einer Diagnose „entlassen“. Auf was genau beziehen sich diese 90 vs. 10 Prozent? Auf die gesamte Behandlung? Oder nur auf die Diagnostik?

  3. Mutmaßlich wird sich die Kommentatorin nicht mehr melden?

    Ich hatte gerade Langeweile: Natürlich findet sich auf die Schnelle keine einzige Studie, die zu der Beschreibung auch nur ansatzweise passen würde.

    Aber alleine im deutschsprachigen Raum scheint es fast zu jedem Thema Studien zu geben bis hin zu anatomischen Untersuchungen, um irgendwelche Faszien nachzuweisen.

    Insofern hätte mich eine Studie, wie die beschriebene, dann auch nicht mehr erstaunt.

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