Bei ARTE gibt’s derzeit (bis 30. August) noch einmal die dreiteilige Doku
Evangelikale – Mit Gott an die Macht

Am Anfang war Billy Graham. Mitten im Kalten Krieg etablierte sich der US-amerikanische Prediger als „Papst“ der Evangelikalen – einer christlich-konservativen Bewegung, die das Ziel verfolgt, den gesellschaftlichen Einfluss der Religion auszubauen.
Sein „großer Kreuzzug“ wurde in den folgenden Jahrzehnten von einer mächtigen politisch-religiösen Lobby vereinnahmt.
Und das Thema bleibt aktuell:
Gerade hat der US-Verteidigungsminister Pete Hegseth ein Video über eine christlich-nationalistische Kirche geteilt, in dem sich mehrere Priester gegen das Wahlrecht für Frauen aussprechen:

Weit weg?
Auch in Deutschland scheinen „rechte evangelikale Christen“ auf dem Vormarsch zu sein, die „gegen Sex vor der Ehe, Klimaschutz und LGBTQ“ agieren, berichtet der Deutschlandfunk. Das evangelische Sonntagsblatt schreibt über „christliche Influencer*innen“, die „rechtes Gedankengut streuen“.
Einige Schlaglichter aus jüngster Zeit:
- „In Pforzheim terrorisieren radikale Christen ihre Gegner“, schildert der Spiegel:

Es geht um die Gruppe „FWBC Seelengewinnen“, nach eigenen Angaben ein Missions-Ableger der „Faithful Word Baptist Church“.
Auf deren Homepage finden sich Videos, in denen vor einer „satanischen Agenda“ gewarnt wird, „die darauf abzielt, wichtige biblische Lehren zu untergraben und die Bevölkerung auf eine allumfassende Ein-Welt-Religion vorzubereiten“. Wie der Spiegel schreibt, sei „längst der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg auf die radikale Gruppierung aufmerksam geworden“:
Seit Mai 2023 beobachtet die Behörde die Gruppe: Sie stehe unter Verdacht, den Staat verfassungsschutzrelevant zu delegitimieren, außerdem werte sie Homosexuelle öffentlich massiv ab […]
„Von der FWBC Seelengewinnen geht ganz klar eine Gefahr aus“, sagt eine Religionsbeauftragte des Kultusministeriums in Baden-Württemberg, die zu ihrem Schutz anonym bleiben möchte. Sie schätzt die Gruppe als extrem hierarchisch und antidemokratisch ein.
Auch Verschwörungsnarrative im Bereich Antisemitismus und Israel würden dort verbreitet. „Diese Ideologie ist so hasserfüllt, dass sie grundsätzlich gegen die Grundrechte und die Menschenwürde verstößt“, sagt die Referentin im Kultusministerium. In dieser Radikalität sei das einzigartig im Milieu der evangelikalen Fundamentalisten in Baden-Württemberg.
- Im Erzgebirge trifft sich seit Jahren eine Gruppe christlicher Schulverweigerer zum Privatunterricht, heißt es in der Zeit. Zentrale Figur dabei ist der Räucherkerzenfabrikant Jürgen Huss:

Die Gruppe gehört einer Strömung an, deren Mitglieder sich als „Freilerner“ verstehen: Anstatt sie in Schulen zu schicken, unterrichten Freilerner-Eltern ihre Kinder selbst. Zu Hause oder in Gruppen wie jener in Neudorf. Sie tun das aus verschiedensten Motiven; in Neudorf sind es religiöse […]
Wenig später sagt Huss, dass ein Staat, der seine Bürger kontrollieren wolle, sich zwei Dinge nicht aus der Hand nehmen lasse: Medien und Bildung. Und wie er das so sagt, wirken die Neudorfer Freilerner auf einmal wie eine Zelle des Widerstands, deren Rädelsführer der Mann in der Dachkammer ist.
Huss deutet auf die Bibel vor ihm, den Einband aus Rindsleder hat er selbst genäht. Aufgeschlagen ist das Evangelium nach Johannes. „Da steht die Lösung drin“, sagt er, „komplett.“
- Der „wohl populärste deutschsprachige Prediger“ (SRF) heißt Johannes Hartl und betreibt das „Gebetshaus“ in Augsburg.

Laut Belltower News schaffe Hartl mit seinen Aktivitäten „eine Bühne für den rechten und konservativen Kulturkampf“:
Die Theologin Maria Hinsenkamp hat sich in ihrem Buch Visionen eines neuen Christentums ausführlich mit der Gebetshaus-Bewegung beschäftigt und besonders den Anspruch einer Transformation der Gesellschaft im Sinne eines „Königreich Gottes“ herausgearbeitet, der alle Teilbereiche der Gesellschaft umfassen und in jedem davon eine „christliche Hegemonie“ herstellen soll.
- Als „Evangelist“ und „Prediger des Evangeliums“ sieht sich auch David Rotärmel aus dem Schwäbischen.

Er zog im Juli in München die „Nächte der Hoffnung“ auf, über die die Süddeutsche Zeitung berichtete:
„Krass“ ist eines der Lieblingswörter Rotärmels. Die christliche Buße interpretiert er als „aggressives Hassen der Dinge, die dich kaputt machen“. Damit ist schon am Donnerstagabend der Ton gesetzt […]
Rotärmel hat offenbar keine Berührungsängste, auch nicht vor krassen historischen und politischen Assoziationen. Zwei brennende Kreuze erscheinen auf der nächtlichen Galopprennbahn in Riem. „Come on!“
- Christliche Influencer „propagieren eine ungleiche Geschlechterrollenverteilung, polemisieren gegen Minderheiten, bieten Dämonenaustreibungen an und sympathisieren zunehmend mit der politischen Rechten“, warnt die Stuttgarter Zeitung.

Dem BR zufolge nutzten verschiedene Christfluencer:innen sowie islamistische Influencer die Religion, um radikale politische Botschaften zu verbreiten. Ihre Ansichten „überschneiden sich oft mit denen rechter und demokratiefeindlicher Bewegungen“.
Ähnliche Berichte über religiösen Fundamentalismus gibt es aus Österreich und der Schweiz:
- „Freikirche soll schon 12-Jährige auf Straße anwerben“
- „In der Kirche predigt er – im Internet verbreitet er Hass“
- „Sektenbericht warnt vor religiös-fundamentalistischen Sommercamps: Eltern sind im Vorfeld oft naiv“

Die Initiative „Fundiwatch“ hat eine Broschüre zum Thema
Christlicher Fundamentalismus und soziale Arbeit
herausgegeben. Darin finden sich auch Kapitel zu „Kulturkampf und Brückennarrative“, „Kiezkirchen und Dämonenkampf“, „Lawfare“ und mehr.
Die 73-seitige Publikation wird am 12. August und am 3. September online vorgestellt. Sie steht hier zum kostenlosen Download zur Verfügung.
Zum Weiterlesen:
- „Hegseth teilt Video mit Äußerungen gegen Frauenwahlrecht“ spiegel (10. August 2025)
- Video „Bibeltreue Influencer machen sich komplett lächerlich“ Rezo reagiert (10. August 2025)
- Langer, Annette „Evangelikale Hardliner in Pforzheim: Wenn Christen ihrem Nächsten den Tod wünschen“ spiegel (6. August 2025)
- Brings, Joschka „Jesus Glow und Christfluencer: Wenn der Glaube viral geht“ NDR (5. August 2025)
- Milzner, Jakob „Christliche Schulverweigerer: Eine Schule nach dem Herzen Gottes“ zeit (2. August 2025)
- Video „CHRIST-Fluencer Exposed“ Der dunkle Parabelritter (20. Juli 2025)
- Nephthys Morgenstern „Johannes Hartl: Eine Megachurch für Deutschland?“ Belltower News (14. Juli 2025)
- Bernstein, Martin „Nights of Hope: Die bizarre Wunderheiler-Show eines Predigers auf der Galopprennbahn“ Süddeutsche (13. Juli 2025)
- „Christfluencer: geschäftstüchtig, fromm, erzkonservativ“ Deutschlandfunk (2. Juli 2025)
- Klein, Mechthild „Rechts und bibeltreu: Christfluencer und ihr erzkonservatives Familienbild“ Deutschlandfunk (25. Juni 2025)
- Portmann, Katharina „Die O’Bros und evangelikale Rapmusik“ EZW-Materialdienst (17. Juni 2025)
- Podcast „Hinter dem #JesusGlow: Special zu Christfluencer:innen & Freikirchen“ funk (13. Mai 2025)
- Kaiser, Markus „Religiöse Influencer: Zwischen Nächstenliebe und Hass“ BR24 (10. April 2025)
- Olesch, Imke „Unter dem Deckmantel der Religion: Wie christliche Influencer*innen rechtes Gedankengut streuen“ Sonntagsblatt (27. Februar 2025)
- Video „Die Freies Lernen-Szene“ WTF-Talk (18. Dezember 2023)
- „Influencer im Namen Gottes“ SRF (25. Januar 2021)
- Redman, Victor „Christfluencer: Menschenfischer auf YouTube“ Deutschlandfunk (14. Juni 2019)
Titelfoto: ARTE


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