Wir wollen uns heute mal ein wenig mit der Frage auseinandersetzen, wie frei wir eigentlich in unseren Wahlentscheidungen sind. Warum wählen wir die eine Partei und die andere nicht? Die größte Frage ist aber: Ist unsere Wahlentscheidung auch wirklich unsere Entscheidung? Es gibt ein paar Hinweise darauf, dass wir uns in Zukunft mehr mit unserem eigenen Wahlverhalten beschäftigen sollten. Technische Entwicklungen könnten nämlich bald dazu benutzt werden, unsere Wahlentscheidung zu beeinflussen. Wie das funktioniert und was wir dagegen tun können, erfahrt ihr jetzt.
Wir haben unterschiedliche Werte
Bei Wahlentscheidungen spielen vor allem unsere Interessen und Werte eine große Rolle. Diese erwerben wir häufig durch unser soziales Umfeld. Das heißt, unser soziales Umfeld (zum Beispiel Familie, Freundeskreis) prägt stark unsere Entscheidung bei einer Wahl. Je nachdem, in welchem Umfeld wir aufgewachsen sind, wünschen wir uns an der Führungsspitze manchmal Leute, die strategisch und besonnen alles auf Kurs bringen und manchmal Leute, die sich mit ihren Ideen durchsetzen können und auch mal auf den Tisch hauen.
Manchen Menschen ist die persönliche Freiheit sehr wichtig, anderen ihre Sicherheit. Beides muss sich nicht widersprechen. Die Gesetze, die uns einerseits einschränken, ermöglichen uns andererseits auch, frei leben zu können. Was erst einmal wie ein Widerspruch klingt, sieht in der Praxis zum Beispiel so aus: Wir sind alle dazu verpflichtet, Steuern zu zahlen. Das heißt, ein Teil unseres Einkommens geht an den Staat. Davon wird vieles bezahlt, was unser Leben angenehm und sicher macht. Egal ob Schulen, Krankenhäuser, die Polizei, Straßen, einfach alle öffentlichen Gebäude und Personal, zum Beispiel in der Verwaltung, werden Steuern finanziert.

Die Werte, die uns prägen, gewichten wir Menschen unterschiedlich. Das heißt, jeder Person ist etwas anderes besonders wichtig. Je nachdem, was uns persönlich anspricht, sind wir ebenfalls dazu geneigt, die eine oder andere Partei zu wählen. Sobald wir mit dem Fahrrad die Straßen entlang fahren und auf Plakaten die Werbeslogans der verschiedenen Parteien sehen oder die einzelnen Stände jeder Partei in den Fußgängerzonen, wissen wir: Es ist mal wieder Wahlkampf.
Wir möchten euch dazu über eine ganz bestimmte Methode informieren, die in Zukunft für politische Zwecke eingesetzt werden könnte und eure Wahlentscheidung massiv beeinflussen kann: Das KI-basierte Microtargeting.
Was ist KI-basiertes Microtargeting?
Am einfachsten ist es, euch erst einmal Targeting und Microtargeting zu erklären. Diese Methoden kennt ihr vielleicht schon aus der Werbebranche:
Beim Targeting visiert man eine bestimmte Gruppe an, der man die eigenen Inhalte präsentiert. Zum Beispiel, wenn sich eine Partei für den Ausbau von Kindergärten einsetzen möchte – dann wird sie eher ihre Plakate auf Spielplätzen aufhängen als in Industriegebieten. Also genau da, wo sich die Zielgruppe Familie aufhält, die von so einem Ausbau profitieren könnte.
Beim Microtargeting werden keine ganzen Gruppen anvisiert, sondern einzelne Personen. Diese Methode findet sich auch auf Social Media wieder, wenn es um personalisierte Werbung geht. Dabei werden große Datenmengen von einzelnen Personen gesammelt. Üblicherweise geschieht dies über die Informationen, welche Menschen ebenfalls auf Social Media von sich preisgeben. Diese Daten werden genutzt, um zugeschnittene Wahlwerbung zu machen. Dazu gleich mehr in unserem Beispiel.
KI-basiertes Microtargeting ist dem Microtargeting sehr ähnlich. Mit Hilfe von KI geschieht dies aber auf einem viel höheren Level. Auch hier werden Daten von Usern gesammelt. Mit diesen Daten können KI basiert und automatisch ganze Homepages und Social Media Profile von Kandidat:innen entwickelt werden. Das Cybersecurity-Unternehmen Sophos hatte 2024 genau das ausprobiert. Die Forscher:innen entwickelten Prompts, mit denen sie schnell und einfach solche Seiten entwickeln konnten.

Natürlich dürfen auch die passenden Kampagnen-Mitglieder nicht fehlen.

Man kann die KI dabei sogar so trainieren, dass die jeweilige Präferenz von Wähler:innen mitberücksichtigt wird.
Na und? Wo ist denn das Problem? Sollten politische Parteien denn nicht neue Technologien für ihre Wahlwerbung einsetzen dürfen?
Der Einsatz von KI-Tools ist natürlich nicht von vornherein ein Problem. Wie wir im Deep-Fakes Beitrag erklärt haben, ist KI nur dann ein Problem, wenn sie missbräuchlich verwendet wird. Üblicherweise treffen Wähler:innen nämlich eine Wahlentscheidung, weil eine bestimmte Partei viele ihrer Interessen abdeckt. Zum Beispiel, weil eine Partei sich für mehr bezahlbare Wohnungen einsetzt oder die öffentlichen Verkehrsmittel stärken möchte. Einzelne Organisationen oder Parteien können durch personalisierte Wahlkampagnen aber dazu verleiten, dass Menschen ihre Wahlentscheidungen auf einer falschen Grundlage treffen. Wenn zum Beispiel eine Partei für mehr bezahlbare Wohnungen sorgt, das aber umsetzen will, indem sie Migrant:innen abschiebt, können Wähler:innen mit Hilfe von KI getäuscht werden. Wähler:innen mit einem eher sozialen Weltbild würden mit dem KI-basierten Microtargeting nur das Versprechen für mehr bezahlbare Wohnungen angezeigt bekommen. Die Stellen, wo es um Abschiebungen geht, würden ausgeblendet, bzw. einen passenden auf diese Personen zugeschnittenen Text enthalten. Das heißt auch, dass sie nicht alle Informationen bekommen, um eine informierte Wahlentscheidung treffen zu können.
Wir schauen uns dazu mal den Global Risks Report an, welcher einmal im Jahr vom World Economic Forum veröffentlicht wird und uns eine Einschätzung im Bereich der Desinformationen liefert. Es werden jährlich die potentiell größten Risiken für die Menschheit in einem Ranking dargestellt. An der Befragung nehmen fast 1.500 führende Personen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Regierung, der internationalen Gemeinschaft und der zivilen Bevölkerung teil.
Der Global Risks Report 2024 warnt davor, dass Fehl- und Desinformationen bereits in den nächsten 2 Jahren ein Problem für Wahlprozesse sein können (S. 18-21). Das Risiko der Fehl- und Desinformationen ist in den letzten 2 Jahren von Platz 15 auf Platz 1 gestiegen. Zum Vergleich: 2023 wurden noch die Lebenshaltungskosten (Wohnung, Essen) auf Platz 1 geführt. In Kombination mit dem hohen Risiko, welches von einer polarisierten Gesellschaft ausgeht, können sich durchaus auch negative Folgen für politische Wahlen ergeben.

In dem Report wird ebenfalls vor KI basiertem Microtargeting im politischen Kontext gewarnt, da diese Einflussnahme zu Misstrauen in Wahlprozessen führen kann. Zudem sei das Erkennen von KI-generierten Inhalten nicht nur eine Herausforderung für Personen mit guten Medienkompetenzen, sondern sogar für Software, die eigentlich diese Inhalte erkennen soll. Desinformationen breiten sich zudem schneller aus, als man sie wieder einfangen kann. Selbst die Kennzeichnung von KI generierten Inhalten auf den einzelnen Plattformen kann nicht verhindern, dass diese Inhalte die Gesellschaft spalten.
Der aktuelle Bericht von 2025 warnt ebenfalls vor Fehl- und Desinformationen in allen Bereichen und kommt im Großen und Ganzen zu den gleichen Ergebnissen.
Wie kann ich mich denn sinnvoll erkundigen?

Na schön, wir haben also gelernt, dass wir in Zukunft eventuell unterschwellig beeinflusst werden könnten, uns für die eine oder andere Partei zu entscheiden. Diese Entscheidung könnten wir aufgrund falscher oder unvollständiger Informationen treffen. Zum einen halten Expert:innen aus verschiedenen Bereichen dieses Szenario für wahrscheinlich und andererseits gibt es bereits heute die technischen Möglichkeiten dazu. Was machen wir jetzt?
Die Antwort hört sich zwar einfach an, leider ist die Umsetzung aber aufwändig. Und zwar müssen wir uns ganz klassisch über die einzelnen Parteien informieren. Wir sollten daher die Zeit nutzen, uns mit den unterschiedlichen Parteien auseinanderzusetzen. Das können und sollten wir über verschiedene Wege tun:
Wir schauen uns an, was die einzelnen Parteien über sich selbst sagen. Was versprechen sie in Bezug auf Bildung, Umwelt, Sicherheit, Infrastruktur, Gesundheit und vielen anderen Themen? Jede Partei hat zu diesem Zweck ein eigenes Programm, in denen sie ihre Ziele niederschreiben. Diese Partei-Programme sind ziemlich lang. Als Tipp: Fangt mit dem Thema an, das euch persönlich am wichtigsten ist.
Wir schauen uns an, was andere Personen über die einzelnen Parteien sagen. Dazu empfehlen wir den Politik-Kanal “Die da Oben”. Aber auch Wikipedia oder KI können euch gute Zusammenfassungen liefern. Seid aber auf jeden Fall kritisch und schaut euch bei allen Videos oder Zusammenfassungen die Quellen an.
Wir schauen uns an, wie die Parteien unsere Interessen in der Vergangenheit umgesetzt haben. Dazu gibt es 2 verschiedene Tools, die euch helfen können. Zum einen gibt es den Wahl-O-Mat und zum anderen den Real-O-Mat. Bei beiden Tools werden euch Fragen gestellt. Es gibt kein richtig oder falsch. Die Fragen sollen lediglich eure Bedürfnisse herausfinden. Ihr könnt sogar verschiedene Bedürfnisse in wichtig oder weniger wichtig abstufen. Danach erhaltet ihr eine Auswertung, welche Partei zu euren jeweiligen Bedürfnissen am besten passt. Hinweis: Der Wahl-O-Mat selbst könnte ebenfalls wieder eine Quelle für Manipulation sein. Weshalb dies aber häufig nicht der Fall ist erklärt die Sozialwissenschaftlerin Prof. Dr. Andrea Szukala der Universität Augsburg in einem Interview.
Es ist auf jeden Fall wichtig, beim Thema Desinformation nicht den Kopf in den Sand zu stecken und zu denken, dass eh alles egal ist. Sich zu informieren ist nicht einfach und es dauert lange. Fangt daher, wie bereits gesagt, immer mit einem Thema an, das euch am meisten interessiert:
Wenn ihr sportbegeistert seid, dann schaut, inwiefern Parteien die örtlichen Vereine unterstützen. Das kann aber auch sportliche Förderangebote an Schulen betreffen.
Wenn euch Tiere sehr am Herzen liegen, dann schaut euch an, inwiefern sich die Parteien für Tierwohl einsetzen. Das kann sich auf Tierheime, Gesundheit von Tieren, aber auch das Verbot von Tierversuchen beziehen – oder die Haltung von Tieren im Lebensmittelbereich.
Wenn ihr Gaming toll findet, dann schaut euch an, inwiefern Parteien den Ausbau von Glasfaserkabeln unterstützen oder Zölle verhandeln. Technische Innovationen könnten in diesem Kontext ebenfalls interessant für euch sein.
Egal für welches Thema ihr euch letzten Endes begeistert, ihr müsst euch nicht alles auf einmal aneignen. Lest lieber regelmäßig etwas zu eurem Thema. 20 Minuten pro Woche reichen schon aus. Wenn euch ein Thema interessiert, dann kann das Informieren sogar Spaß machen und manchmal merkt ihr nicht, wie die Zeit vergeht. Vielleicht führt euch das eine spannende Thema auch zu einem anderen Thema, von dem ihr noch gar nicht wusstet, dass es euch interessiert.
Bleibt neugierig und stellt Fragen, denn die Welt hat noch viele Geheimnisse versteckt!
Weiterführende Beiträge
- Wie mit KI Wahlen manipuliert werden könnten (2024)
- Ob real oder nicht – die Botschaft zählt (2025)
- Wie die britische Labour-Partei ihren eigenen Parteichef mit Microtargeting linkte (2018)
Cover: KI generiertes Bild mit der Leonardo AI https://app.leonardo.ai/
Schreibe einen Kommentar