Die Reaktionen von verschiedenen Betroffeneninitiativen, aber auch einzelnen Journalisten auf das Münsteraner Gutachten zu „Ritueller Gewalt“ zeigen, dass viele immer noch nicht den Unterschied zwischen sexualisierter Gewalt (auch in organisierter Form und auch im kirchlichen Kontext) und den ganz speziellen Grundannahmen der Rituelle Gewalt-Mind Control-Verschwörungstheorie verstanden haben.
Hilfreich wäre es zum Beispiel, den Untersuchungsbericht mal ganz zu lesen, anstatt reflexhaft Empörung auszustellen. Der erste Satz darin lautet:
Sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche ist ein reales Phänomen.
Aber das ist gar nicht das Thema der folgenden 166 Seiten (und ebensowenig impliziert der Bericht den Verdrängungsgedanken „Ein Priester tut so etwas nicht!“, wie ein aufgeregter Kollege unterstellt), sondern:
Insofern ist es gut, dass die Psychologin Bianca Liebrand vom Sekteninfo NRW heute in der WAZ noch einmal einiges klarstellt – leider hinter Bezahlschranke.
- Worum geht es?
Liebrand: In diesen Berichten wird behauptet, dass es Täternetzwerke gäbe, die Menschen durch ihre speziellen Foltermethoden gefügig machen, um sie immer wieder zu missbrauchen. Diese Betroffenen glauben, dass sie seit frühester Kindheit traumatisiert wurden, mit dem Ziel sie zu „programmieren“ […]
Es kommen darin auch immer solche Schlagwörter vor wie „Schwarze Messen“, „Satanskult“ und „dunkle Keller“. Die Gutachter kommen hier zu dem Ergebnis, dass wir es hier mit Scheinerinnerungen zu tun haben.
- Wie entstehen Scheinerinnerungen?
Zum Beispiel im Internet finden sie viele Menschen, die über ihre Erfahrungen mit „Ritueller Gewalt“ berichten. Jemand mit psychischen Problemen, der so etwas liest, jemand, dem es womöglich seit Jahren schlecht geht, der sich hilflos fühlt und der sich fragt, warum bin ich so krank, denkt dann vielleicht: Bei mir könnte es genauso gewesen sein, auch ich wurde traumatisiert.
Scheinerinnerungen können aber auch durch suggestive Methoden in Therapien entstehen, wenn Menschen gedrängt werden sich an Dinge zu erinnern, die vielleicht gar nicht passiert sind.
- Machen Therapeut:innen das mit Absicht?
Ich denke, dass Therapeuten, die an das Narrativ „Rituelle Gewalt“ glauben, es eigentlich gut meinen mit ihren Patienten.
Wenn ich mir vorstelle, da sitzt mir jemand gegenüber in einem desolaten Zustand und erzählt eine Geschichte, die mich schockiert, da will ich doch helfen. Und niemand sagt doch, jawohl, ich setze suggestive Methoden ein. So etwas ist immer ein Prozess.
Diese Therapeuten sind sich wahrscheinlich gar nicht bewusst, dass sie ihren Patienten gar nicht helfen, sondern letztendlich schaden.
Kann man anscheinend nicht oft genug erklären.
Ausgerechnet die konservative katholische Tagespost bringt es auf den Punkt:
Das im Auftrag von drei nordrhein-westfälischen Bistümern erstellte Gutachten ist ein Meilenstein der Aufarbeitung sexueller Missbrauchsfälle. Es bringt die Defizite heutiger Therapiemöglichkeiten zum Vorschein: Wenn Therapeuten seelisch labile Menschen suggestiv beeinflussen […] und zu falschen Vorwürfen verleiten, ist eine Kurskorrektur notwendig.
Der Therapeut leistet einem Rufmord Vorschub und macht den seelisch Angeschlagenen zum Therapieopfer.
Wie lange wird es noch dauern, bis diese Erkenntnis auch bei den Betroffenenbeiräten und Co. ankommt?
Zum Weiterlesen:
- Schymiczek, Marcus „Sekteninfo NRW über Rituelle Gewalt: Ja, es ist eine Verschwörungstheorie“ waz (18. Oktober 2025)
- Harder, Bernd „Mysteriös, unbegreifbar: Warum verzichtet die Satanic-Panic-Szene nicht auf den Begriff der Rituellen Gewalt?“ skeptix (12. Oktober 2025)
- Harder, Bernd „Bloß eine Scheinerklärung: Bistum Münster untersuchte ein Dutzend Fälle ritueller Gewalt“ skeptix (9. Oktober 2025)
Titelfoto: Unsplash/Yael Gonzalez
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