Auf ARTE gab es kürzlich einen kurzen Beitrag zu Hildegard von Bingen. So inhaltsleer er auch war, Zeit für unkritische Aussagen zu Esoterik bleibt immer.
Vor allem die sogenannte Hildegard-Medizin durfte natürlich nicht fehlen – schließlich hat ARTE-Autorin Nathalie Tric damit ihre ersten Pickel weggekriegt, damals mit 15.
Das Problem mit „Physica“ und „Causae et curae“ ist nur:
Das sind keine Originalabschriften. Die Originale sind verloren. Wir kennen die Originale nicht,
erklärt der der Youtuber und WTF-Talkgast Andrej Pfeiffer-Perkuhn vom Geschichtsfenster. Und die Klostermedizin, die dahintersteht, „die hatten wir überall. Das war Teil des Wissenskanons des Mittelalters“.
Historiker rechnen die Schriften denn auch nicht den Visionsschriften der heiligen Hildegard von Bingen zu, die göttlich inspiriert seien, sondern bezeichnen sie als natur- und heilkundliches Alltags- und Erfahrungswissen jener Zeit.
Ganz wild wird es, als Tric die mittelalterliche Äbtissin mit der „deutschen Alternativmedizin“ und Anthroposophie in Verbindung bringt und auch Homöopathie unter „Naturheilkunde“ subsummiert.
Da kann man dann nur noch so reagieren:

Nein, Homöopathie ist keine Naturheilkunde, Frau Tric.
Und vermutlich ist Klosterfrau Melissengeist wirksamer als „Hildegard-Medizin“, meint Pfeiffer-Perkuhn. Und Baldrianpillen könnten nach dieser Sendung auch nichts schaden.
„Heutzutage ist Hildegard aus Deutschland nicht mehr wegzudenken“, beendet die Journalistin schließlich ihren Lobpreis:
Ihre Gesichtszüge zieren unzählige Flaschen mit Elixieren, Schaufenster von Apotheken und Bücher mit mehr oder weniger medizinischem Anspruch.
Eher weniger.
Was Frau Tric nämlich nicht erwähnt, ist, dass es wohl angebrachter wäre, von „Hertzka-Medizin“ zu sprechen denn von „Hildegard-Medizin“. Gottfried Hertzka († 1997) ist der Name jenes österreichischen Arztes, der gemeinsam mit dem deutschen Heilpraktiker Wighard Strehlow den Vertrieb eines Sammelsuriums an Pflanzenpräparaten, Edelsteinen, Nahrungsmittel, Kosmetika und sonstigen Bedarfsartikeln für „gesunde Lebensführung“ unter dem Signet „Hildegard-Medizin“ groß aufzog:
Mit den Schriften Hildegards hat dieser Versandhandel nur noch entfernt zu tun, desgleichen die Flut der Publikationen, die sich seit Mitte der 80er über den Buchmarkt ergießt.
Die Ratschläge und Rezepturen, die Hertzka und Strehlow in ihrer „Großen Hildegard-Apotheke“ für sämtliche nur denkbaren Erkrankungen vorlegen, entbehren jedes seriösen Wirksamkeitsnachweises,
schreibt Colin Goldner in seinem Buch „Die Psycho-Szene“.
Und wir werden auch nie erfahren, ob Nathalie Tric ihr Hildegard-Zaubermittel gegen Pickel nun eigentlich getrunken oder aufgetragen hat.
Zum Weiterlesen:
- Video „Welcher Unsinn immer über das Mittelalter erzählt wird“ (mit Andrej Pfeiffer-Perkuhn) WTF-Talk (22. Juli 2025)
- „Hildegard von Bingen – Visionärin des Mittelalters“ scinexx (26. April 2024)
- Zimmer, Frank „Wir versuchen, Hildegard von Bingen zu erden“ mittelrheingold (15. Dezember 2019)
- Brandstetter, Günther „Das große Geschäft mit Hildegard von Bingen“ derStandard (5. Juli 2013)
- Packeiser, Karsten „Die fragwürdigen Tipps der heiligen Hildegard“ welt (4. Oktober 2012)
- Bruhns, Annette „Hildegard von Bingen: Posaune Gottes“ spiegel (27. Juli 2010)
- Löhr, Wolfgang „Heilpraktiken als reine Glaubenssache“ taz (30. Mai 1998)
- „Hildegard-Medizin“ bei Wikipedia
Titelfoto: Freepik


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