Osteopathie: Ein unkritisches Kinderbuch über eine kritische Methode

Osteopathie wird oft als sanfte, ganzheitliche Heilmethode beworben, die bei verschiedenen Beschwerden helfen soll – von Rückenschmerzen bis hin zu Verdauungsproblemen. Doch was steckt wirklich hinter dieser Praxis? Und warum ist sie so heiß umstritten? Ein Blick auf die Faktenlage zeigt: Es gibt bedeutende Gründe, die Osteopathie kritisch zu hinterfragen, insbesondere wenn man bedenkt, dass sie neuerdings selbst zur Anwendung an Kindern unreflektiert beworben wird: In einem neuen Pixi-Buch von Carlsen.

Was ist Osteopathie?

Osteopathie ist eine „alternativmedizinische“ Methode, die auf der Annahme basiert, dass der Körper zur Selbstheilung fähig ist, wenn die Beweglichkeit von Muskeln, Knochen, Organen und Faszien wiederhergestellt wird. Osteopath:innen verwenden manuelle Techniken, um angebliche Blockaden oder Dysfunktionen zu lösen. Drei Teilbereiche werden unterschieden: parietale Osteopathie (Bewegungsapparat), viszerale Osteopathie (innere Organe) und kraniosakrale Osteopathie (Schädel und Kreuzbein). Trotz dieser Ausdifferenzierung und der Beliebtheit der Behandlungsmethode gibt es wenig Evidenz für ihre Wirksamkeit, sehr wohl aber für Schädigungen an Personen, die osteopathisch behandelt worden sind. 

Gibt es wissenschaftliche Evidenz für die Wirkung von Osteopathie?

Die wissenschaftliche Basis, auf der die Glaubwürdigkeit der Osteopathie beruht, ist schwach. Während einige Studien zeigen, dass Osteopathie bei bestimmten Beschwerden wie Rückenschmerzen einen geringen Nutzen haben kann, fehlen belastbare Beweise für die meisten anderen Anwendungsgebiete. Besonders problematisch ist die kraniosakrale Osteopathie, deren Grundannahmen – wie etwa die Wahrnehmung eines „kraniosakralen Rhythmus“ – wissenschaftlich widerlegt sind. Zudem zeigen Meta-Analysen, dass viele der Studien, die eine Wirksamkeit nahelegen, methodisch entscheidende Schwächen aufweisen – sie verfügen bspw. nur über sehr begrenzte Gruppen von Proband:innen oder es fehlen Kontrollgruppen.

Warum sollte man Osteopathie kritisieren?

  1. Pseudowissenschaftliche Grundlagen:
    Viele Annahmen, die der Osteopathie zugrunde liegen, widersprechen dem aktuellen Stand medizinischer Forschung. Es gibt schlicht keine belastbaren Nachweise, dass Osteopath:innen durch Berührung „Blockaden“ in Organen oder Faszien lösen können.
  2. Risiken durch Fehldiagnosen:
    Osteopath:innen sind in Deutschland nicht zwangsläufig Ärzt:innen. Das erhöht entsprechend das Risiko, dass ernsthafte Erkrankungen übersehen und zu spät oder falsch behandelt werden. Bei Beschwerden sollte man auf eine evidenzbasierte Diagnostik und Behandlung setzen.
  3. Irreführende Werbung:
    In der Außendarstellung wird Osteopathie oft als sanfte Methode vorgestellt, die risikoarm und für jede:n geeignet zu sein scheint. Selbst für Kleinkinder und Babies werden osteopathische Behandlungen angeboten. In Wirklichkeit sind solche Behandlungen aber nicht selten mit Verletzungen und erheblichen Kosten verbunden, was besonders mit Blick auf die fragwürdige Effektivität ein echtes Problem darstellt.

Fachliche Kritik an der Osteopathie

Kritiker:innen beleuchten viele Facetten der Osteopathie und haben sich in wissenschaftlichen (Meta-)Analysen, Videos und Medienberichten mit der Methode und auch ihren Risiken auseinandergesetzt. Wissenschaftsjournalist:innen wie die Quarks Science Cops oder Natalie Grams haben ausführlich dargelegt, dass viele Behauptungen der Osteopathie nicht haltbar sind. Eine umfangreiche Zusammenfassung findet sich auch auf der Site von Quarks. Grams hat sich besonders mit der Anwendung der Methoden auf Kinder und Babies beschäftigt – die Zielgruppe, die der Verband der Osteopathen Deutschland e.V. (VOD) mit ihrem neuesten Marketing-Coup, einem Pixi Buch aus der beliebten Reihe des Verlags Carlsen, erreichen will. 

Problematische Verharmlosung im Kinderbuch

Warum ist ein Pixi-Buch so problematisch? Wenn fragwürdige Heilmethoden wie die Osteopathie in Kinderbüchern verharmlost oder gar beworben werden, wird sowohl den Kindern als auch den Eltern ein Bild von der Behandlung vermittelt, das der Realität nicht gerecht wird. Weder die Risiken noch die schlechten Chancen auf eine positive Auswirkung der Behandlung werden dargestellt; im Gegenteil: Kindern wird vermittelt, dass eine osteopathische Behandlung unproblematisch, sicher und sinnvoll wäre. 

In einem Buch, das die Weltsicht kleiner Kinder prägen soll, ist diese Darstellung äußerst bedenklich. Kinder und Eltern könnten – und sollen – so ermutigt werden, pseudowissenschaftliche Behandlungen auszuprobieren und dadurch verleitet werden, wissenschaftlich fundierte Therapien zu vernachlässigen. Dass Carlsen eine Plattform für solche Inhalte bietet, freut den VOD, der das Bilderbuch auf der eigenen Website als Artikel „für kleine Entdecker und neugierige Erwachsene” bewirbt. Unserer Einschätzung nach ist dieses Kinderbuch ein weiterer Beleg dafür, dass pseudowissenschaftliche Ideen tief in den Alltag eingesickert sind und so schon den Jüngsten vermittelt werden, was hochproblematisch und potenziell gefährlich ist. Wer schon früh verinnerlicht hat, dass „Alternativmedizin“ eine angeblich sinnvolle Alternative zu evidenzbasierter Medizin ist, ist auf dem besten Weg, das Vertrauen in die Medizin und in die Wissenschaft zu verlieren. Ob sich Carlsen dieser Gefahr bewusst ist, ist schwer zu sagen. Zuschriften an den Verlag – per Kontaktformular hier – könnten vielleicht Bewusstsein dafür schaffen.

Quellen

Budesärztekammer „Wissenschaftliche Bewertung osteopathischer Verfahren“ Deutsches Ärzteblatt 2009; 106 (46)

Ernst, Edzard „Die Scheinwirkung der Osteopathie“ Welt (6. Dezember 2023)

Grams, Natalie „Babys sind weder schief noch blockiert“ Spektrum (22. September 2020)

Maier, Josephina „In guten Händen?“ Die Zeit, 33/2016 (21. August 2016)

Quarks „Wie hilfreich ist Osteopathie?“ Quarks.de (5. Oktober 2022)

Quarks Science Cops, „Die Akte Osteopathie. Ist Osteopathie Rumdrücken ohne SINN?“ Youtube (Januar 2022)

VOD-Nachrichten „VOD präsentiert 1. Pixi-Buch zur Osteopathie: ;Mias Besuch bei der Osteopathin‘ / Für kleine Entdecker und neugierige Erwachsene“ (11. November 2024)