„Esoterik-Kram auf Kosten einer Vermissten“: Die Scharlatanen-Bubble um Rebecca Reusch

(Lesedauer ca. 7 Minuten)

Ja – bei der Suche nach dem entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer im Jahr 1977 war tatsächlich ein „Hellseher“ namens Gerard Croiset mit von der Partie.

Nein – zu irgendwas Brauchbarem hat das nicht geführt.

Darüber berichten die Strafrechtsprofessoren Matthias Jahn und Sascha Ziemann in der Zeit (54/2025):

https://www.zeit.de/2025/54/entfuehrung-hanns-martin-schleyer-raf-1977-gerard-croiset-hellseher

Wie kam es überhaupt dazu?

Nach einer „Blütezeit“ in der Weimarer Republik wurde 1929 in einem Runderlass des preußischen Innenministers die Zusammenarbeit mit Kriminaltelepathen verboten, schreiben Jahn/Ziemann:

Doch im ersten Nachkriegsjahrzehnt entwickelte sich wieder ein verstärktes Interesse an der Kriminaltelepathie. Es war Teil einer breiteren gesellschaftlichen Entwicklung, die in der soziologischen Forschung zu Bezeichnungen wie „Supernatural Fifties“ geführt haben.

Schon 1954 sah sich der nordrhein-westfälische Innenminister zu einem Runderlass genötigt, der es erneut ausdrücklich für unzulässig erklärte, sich zur Aufklärung von Straftaten „übersinnlicher Mittel“ zu bedienen.

Im „Deutschen Herbst“ aber wurde der Erwartungsdruck auf die Ermittler so groß, dass es Mitte September 1977 zu einem Treffen mit dem „Hellseher“ Gerard Croiset kam. Wer die Zusammenkunft in Utrecht initiiert hatte, bleibt „unklar“, rekapitulieren die beiden Rechtswissenschaftler. Daran beteiligt waren jedenfalls der leitende Beamte der damaligen „Bundeswehrschule für psychologische Verteidigung“ in Euskirchen, Johannes Kurt Klein, der Polizeipsychologe Wolfgang Salewski und der Freiburger Parapsychologe Hans Bender. Für Klein und Salewski sei „das Umfeld der parapsychologischen Forschung keine unbekannte Größe“ gewesen, heißt es in einem Beitrag der Zeitschrift Die Kriminalpolizei:

Beide kannten Hans Bender aus unterschiedlichen Kontexten schon seit längerem und waren persönlich an diesen Fragestellungen interessiert.

Klar ist nur, dass der Krisenstab des BKA (dem Klein und Salewski angehörten) sehr verzweifelt gewesen sein muss. Denn schon in früheren Vermisstenfällen waren Croisets Angaben „weitschweifig“ und „größtenteils unzutreffend“, analysiert der niederländische Journalist und Skeptiker Piet Hein Hoebens in einem Artikel:

https://skepsis.nl/croiset-tenhaeff/

Seinen Ruhm habe Croiset nicht handfesten und belegbaren Erfolgen zu verdanken, sondern den „propagandistischen Bemühungen“ des niederländischen Bender-Pendants Wilhelm Heinrich Carl Tenhaeff, Parapsychologe an der Universität Utrecht und gewissermaßen Croisets „Impressario“. Der bekanntermaßen leichtgläubige Hans Bender ließ sich davon bereitwillig anstecken und sah in Croiset „eine der beeindruckendsten lebenden Personen mit paranormalen Fähigkeiten“, kolportiert der SWR-Podcast „Geisterjäger“ vom vergangenen Jahr.

Realiter trug Croiset auch im Entführungsfall Schleyer wohl nichts bei, auch wenn „aus heutiger Sicht die Frage nach dem Ermittlungswert der Angaben von Croiset“ schwierig zu klären sei:

Die Faktenlage zum Hellseher-Einsatz im Schleyer-Entführungsfall wird mit wachsendem zeitlichen Abstand ein wohl dauerhaft undurchschaubares Geflecht aus Irrationalität und Seelennot bleiben,

erklären Jahn/Ziemann.

Wolfgang Salewski hingegen wurde in der Geisterjäger-Folge „Hellseher gegen die RAF“ (2024) wesentlich deutlicher: „Nichts“ sei dran gewesen an Croisets Hellsichtigkeit und Benders Wunschdenken.

Der Zeit-Artikel endet:

Die Juristen jedenfalls sind alsbald zur Rationalität zurückgekehrt.

Im Frühjahr 1978, wenige Monate nach der Ermordung von Hanns Martin Schleyer, hat der Bundesgerichtshof in einem Fall, in dem der Freiburger Parapsychologie-Professor Hans Bender als Sachverständiger vor einem Schwurgericht angehört werden sollte, mit ungewöhnlich harschen Worten entschieden, die übersinnlichen Kräfte seien nicht beweisbar.

Sie gehörten „lediglich dem Glauben oder Aberglauben, der Vorstellung oder dem Wahne an“ und dürften vom Strafrichter „nicht als Quelle realer Wirkungen anerkannt werden“.

Dabei ist es bis heute geblieben.

Vonseiten der Juristen vielleicht – vonseiten der „übersinnlich Begabten“ durchaus nicht.

Kartenlegerinnen, Hellseher:innen, Wünschelrutengänger und Verschwörungstheoretiker arbeiten sich seit sechs Jahren an dem Vermisstenfall Rebecca Reusch ab:

Konkurrierende Grüppchen bilden sich, die ihr jeweils eigenes Geheimwissen hüten und einander mindestens misstrauisch beäugen,

beschrieb der Spiegel im September diese Bubble. Ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft erklärte:

Keiner der Hinweise, die die Freizeitermittler in den vergangenen Jahren bei der Polizei eingereicht hätten, sei neu oder zielführend gewesen.

Im Gegenteil, was für ein Quatsch dabei herauskommt, spießt der Youtuber AlphaKevin in diesem Video auf:

https://www.youtube.com/watch?v=vkYwjzJnGFw

Ein Paragnost namens Mario behauptet, er hätte sich „mit dem Mädchen verbunden auf der geistigen Ebene und die Rebeca befragt, ob sie mir nähere Angaben machen kann zu dem Hergang von dem Geschehen“.

AlphaKevin:

Der macht einfach seinen Esoterik-Kack auf Kosten einer vermissten Frau, wo selbst die Familie ratlos ist.

Und wenn ihr mich fragt, dann sollte so ein Müll verboten gehören, weil das einfach absolut zu weit geht und wirklich jede Grenze überschreitet.

Leg von mir aus Karten, beschreib deine eigene Zukunft und sei glücklich damit. Aber das ist absolut absurd, sich mit einer angeblich toten Person geistig zu connecten […]

Also ihr merkt schon, wie pietätlos diese Menschen sind, um irgendwie Content darüber zu produzieren.

Auf den Clickbait-Content von Mario folgte wiederum Clickbait-Content von Menschen, die sich nach Marios Angaben auf die Suche machten und sinnlos im Wald rumbuddelten:

https://www.youtube.com/watch?v=vkYwjzJnGFw

Ganz so, wie Anja Rützel es im Spiegel schildert:

Der reale Fall Rebecca Reusch war der Ausgangspunkt, irgendwann einmal. Aber was heute in Livestreams, Foren und Reaktionsvideos erzählt wird, ist ein eigenständiges, kleines Universum, mit Cliffhangern, mit Helden und Schurken, mit Einsteigern und Aussteigern […]

Sie wollen nur helfen, Rebecca zu finden, betonen die Beteiligten selbst bei ihren Aktionen. Doch natürlich geht es auch um Geld. Klicks und Reichweite lassen sich monetarisieren.

Auf YouTube können unter Umständen Werbeanzeigen geschaltet werden, Zuschauer spenden im Livestream, Kanalmitgliedschaften bringen zusätzlich Geld.

Und leider geben auch seriöse Medien solchen Scharlatanen immer wieder eine Bühne – aktuell etwa der Südkurier (Konstanz), der in einem Vermisstenfall den berüchtigten „Seher“ Michael Schneider zu Wort kommen lässt. Der hätte immerhin schon mal geholfen, „eine entlaufene Schildkröte wiederzufinden“.

Zum Weiterlesen:

Titelfoto: Freepik

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