Das „Turiner Grabtuch“ ist wie ein Abzählreim.
„Echt“ – schreibt der britische Independent mit Verweis auf eine Studie von Liberato De Caro/Giulio Fanti, die mittels Weitwinkel-Röntgenstreuung (WAXS) ermittelt haben wollen, dass der Leinenstoff tatsächlich 2000 Jahre alt ist.
„Falsch“ – entgegnet der italienische Historiker Andrea Nicolotti, der die Methode für „höchst unzuverlässig“ und die Forscher für unqualifiziert und voreingenommen hält.

„Echt“ – sagt der Filmemacher David Rolfe (o.). Er könne sich keine andere Erklärung für die verschiedenen Charakteristika vorstellen, als den Tod und die Auferstehung Christi.
„Falsch“ – meint der 3D-Designer Cicero Moares, der von einem Flachrelief als Vorlage für das Abbild eines menschlichen Körpers auf dem Tuch ausgeht.
Und so weiter, und so fort.
Der neueste Clou: eine Rekonstruktion des Gesichts auf dem Turiner Grabtuch mit dem AI-Tool Midjourney. Mittlerweile gibt es auch einen Youtube-Kanal zum „real face of Jesus Christ animated“.

Sieht ganz nett aus, was die englische Boulevardzeitung Daily Express da generiert hat. Nichtsdestotrotz ist nach wie vor der Schluss „vernünftig“, dass
… das Turiner Grabtuch ein Artefakt aus dem 14. Jahrhundert ist und nicht das Grabtuch eines Mannes, der im ersten Drittel des 1. Jahrhunderts n. Chr. gekreuzigt wurde,
schreibt Andrea Nicolotti bei Skeptic.
Der Geschichtswissenschaftler von der Universität Turin ist auch in dem neuen ORF-Beitrag
Das Grabtuch von Turin – ein Mysterium
zu sehen, neben dem Chemiker Luigi Garlaschelli:

Der Film zeichnet die Historie des „Grabtuchs“ nach – erkennbar um österliche Ausgewogenheit bemüht („ergriffen verehrt von den einen, kritisch beäugt von den anderen“), aber mit den wichtigsten skeptischen Argumenten.
Das Fazit:
Die Wissenschaft heute könnte mit modernen Methoden wohl klären, was das Geheimnis des Grabtuchs wirklich ist. Und wie alt es ist. Doch die Kirche hat bisher keiner neuerlichen Erforschung zugestimmt.
Will sie die Wahrheit des Tuches bewusst offen lassen? Ist ein Rätsel die bessere Geschichte, um Menschen zu faszinieren?
Quellen:
- „The Shroud of Turin won’t go on display after 10 years out of sight“ today (18. April 2025)
- Lapointe, Ellyn „True face of Jesus is brought back to life thanks to modern breakthrough“ Daily Mail (9. April 2025)
- Nicolotti, Andrea „Unraveling the Myths Surrounding the Shroud of Turin“ skeptic (4. März 2025)
- Knapton, Sarah „The 3D graphics that prove the Shroud of Turin is a fake“ Telegraph (30. Oktober 2024)
- Moraes, Cicero „Image Formation on the Shroud of Turin – a Digital 3D Approach“ ssrn (30. Oktober 2024)
- Taschwer, Klaus „Was hinter der jüngsten Aufregung um das Turiner Grabtuch steckt“ derStandard (30. August 2024)
- Sankaran, Vishwam „Turin Shroud may actually be Jesus’s burial cloth, new study suggests“ The Independent (25. August 2024)
- Moran, Michael „Face of Jesus unveiled by AI using Shroud of Turin after astonishing discovery“ Daily Express (21. August 2024)
- Fanti, Giulio „X-ray Dating of a Turin Shroud’s Linen Sample“ Heritage (11. April 2022)
- Fanti, Giulio „X-ray Dating of Ancient Linen Fabrics“ Heritage (18. November 2019)
Titelfoto: Wikipedia/Rudolf Berwanger
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