Laurel und Hardy und der viele übersinnliche Nonsens im neuen Roman „The Secret of Secrets“ von Dan Brown

(Lesedauer ca. 10 Minuten)

Wohlwollend könnte man über den Schriftsteller Dan Brown sagen, dass er

… auf so raffinierte Weise zwischen Realität und Fiktion pendelt, dass beide ohne gründliche Kenntnis der Materie nicht ohne Weiteres auseinandergehalten werden können (Ruch, 2010).

Weniger wohlwollend formuliert

… transportieren [seine Bücher] neben der offensichtlich fiktiven Story auch viele handfeste und ideologisch motivierte Fehlinformationen, deren Verwechslung mit historisch belegten Tatsachen offenbar gewollt ist (Lamprecht, 2005).

Zudem propagiere er „eifrig und unhinterfragt“ populäre Verschwörungstheorien, was seinem Werk eine „offensichtlich desinformierende Wirkung“ verleihe. Problematisch daran ist, dass Browns Romane

… trotz seiner mitunter hanebüchenen Thesen wie ein Sachbuch gelesen und diskutiert werden (Ehrhardt, 2010).

Kurz gesagt:

Man kann historischen Recherchen des Schriftstellers Dan Brown soviel vertrauen wie der Kaufempfehlung eines Investmentbankers (Rodek, 2009).

https://www.youtube.com/watch?v=_XU5a13lcUI

Und nun also „The Secret of Secrets“.

Wieder geht es darin um den Symbolforscher Robert Langdon und die Noetikerin Katherine Solomon. Letztere will ein Buch veröffentlichen, das „bahnbrechende Entdeckungen über die wahre Natur des menschlichen Bewusstseins offenbart“, ehe sie „plötzlich verschwindet“ und Langdon sich einer „mächtigen Organisation gegenübersieht“, blurbt die Verlagsseite.

Das klingt nach mächtig viel Geschwurbel – und bereits im Lübbe-Interview macht Dan Brown deutlich, dass er von dem Daryl-Bem-Experiment zur Präkognition überzeugt ist und sein Protagonist Langdon sich folgerichtig „in unterschiedlichen Themenfeldern vom Skeptiker zum Suchenden entwickelt“ beziehungsweise seine Denkweise „mystischer und offener“ wird.

Explizit äußert sich Brown im Gespräch mit demTagesspiegel:

Präkognition, außersinnliche Wahrnehmung, Channeling, all diese Phänomene, die als paranormal bezeichnet und abgewertet werden, das ist alles wissenschaftlich dokumentiert. Und mit der Theorie des nichtlokalen Bewusstseins ergibt alles Sinn.

Oder auch nicht.

Von einem „weltanschaulichen Traktat, der notdürftig als Roman verkleidet wurde“, schreibt der Kulturkorrespondent Hannes Stein in der Welt. Stein liest aus „The Secret of Secrets“ eine Botschaft heraus, „die man nur als gegenaufklärerisch bezeichnen kann“, und macht das an elf verschiedenen Punkten im Buch fest:

https://www.welt.de/kultur/article68c3a1614845e275697a31cb/neuer-roman-the-secret-of-secrets-die-elf-falschmeldungen-des-dan-brown.html

Schon in Dan Browns Thriller „Das verlorene Symbol“ spielte das in Kalifornien beheimatete „Institute of Noetic Sciences“ (IONS), das sich der Erforschung parapsychologischer Phänomene widmet, eine große Rolle.

Gegründet wurde dieses Institut von dem Ex-Astronauten Edgar Mitchell, der, weil er bei der Mondlandung von mystischen Gefühlen übermannt wurde, hinterher an Ufos und außersinnliche Wahrnehmungen glaubte.

Sein Geldgeber war Paul Nathaniel Temple, ein Milliardär und fundamentalistischer Christ. In Dan Browns neuem Buch „The Secret of Secrets“ wird das Institut von Katherine Solomon vertreten.

Tatsächlich mutierte Mitchell nach seiner Zeit bei der NASA zum „Hardcore-Esoteriker, der gerne unbewiesene Theorien aufstellte“ sowie „krude Ideen“ verbreitete.

Und wie die „Noetic Science“ sich wiederholt selbst diskreditiert hat, beschrieb Joe Nickell 2010 im Skeptical Inquirer. Der Neurologe und Skeptiker Steve Novella bescheinigt dem IONS, Pseudowissenschaft zu betreiben, und Quackwatch führt das Institut unter den „Questionable Organizations“ auf.

Doch, das glaubt Dan Brown allen Ernstes. „Irgendwann wird die Skepsis selbst irrational“, behauptet er an einer Stelle in Kursivschrift.

Im Tagesspiegel-Interview sagt Brown von sich selbst: „Ich bin immer skeptisch, immer sachlich und ich will handfeste Belege, bevor ich meine Meinung ändere.“

Dass das nicht stimmt, zeigt sich am New-Age-Vokabular und zahlreichen anderen Formulierungen in seinem neuen Buch, wie etwa „Paradigmenwechsel“, „überholte Annahmen“, „traditionelle Wissenschaft“ oder „materialistische Wissenschaft“.

Auch auf der Verlagsseite wird deutlich, dass Brown von Wissenschaft und Skeptizismus keine Ahnung hat:

Besonders beeindruckt hat mich der Nachweis von Experimenten zur Präkognition. Die wissenschaftlichen Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Gehirn bereits weiß, welche Bilder ihm ein Computer zufällig zeigen wird – noch bevor die Maschine ihre Auswahl überhaupt getroffen hat.

Ich habe keine Erklärung dafür, wie so etwas möglich ist, aber es geschieht.

Nein, das geschieht eben nicht – jedenfalls konnten die Experimente von Daryl Bem (die in „The Secret of Secrets“ auf Seite 399 vorkommen) nicht repliziert werden. Darüber haben wir auch hier im Blog berichtet.

Das „Stargate Project“ wurde von 1977 bis 1995 betrieben. Es handelte sich dabei um 15 bis 20 Leute in einer zugigen Baracke im amerikanischen Irgendwo, die versuchten, die Parapsychologie für militärische Zwecke nutzbar zu machen

Die Sowjets unternahmen ähnliche Versuche; die Amerikaner wollten diesen Rüstungswettlauf nicht verlieren. Am Ende wurde das Projekt wegen Verdachts auf groben Unfug eingestellt.

Dem ist wenig hinzuzufügen.

In seinem Roman nennt Dan Brown die beiden „Stargate“-Protagonisten Russell Targ und Harold E. Puthoff „respektable Köpfe“ (Seite 479) – in Wahrheit wurden die beiden als „Laurel and Hardy of psi research“ verlacht.

Einen ersten Bericht über „Gedankenübertragung als Kriegswaffe“ in der französischen Zeitschrift Constellation im Jahr 1959 hatte der Journalist und Esoteriker Jacques Bergier frei erfunden, wie auch ein entsprechendes Kapitel in seinem Buch „Le Matin des magiciens“ (S. 621):

https://www.ebay.com/itm/124176512879

But in 1960, real-world consequences were a result,

schreibt die Investigativjournalistin Annie Jacobsen.

Es begann ein parapsychologisches Wettrüsten zwischen den beiden Supermächten, über das der amerikanische Skeptiker Marcello Trutzi später sagte, es habe sich um „irreführende Propaganda“ gehandelt, „die die Kommunisten dazu verführen sollte, ihre Mittel an solchen Projekten zu verschwenden“.

Ein erhellender Satz zu diesem Treiben findet sich auch in dem Podcast „Gespenster und Geheimagenten“ vom SWR:

Die Amerikaner erforschten damals alle möglichen und unmöglichen Spielarten des Übernatürlichen: Hellsehen, Telekinese, Telepathie, durch Wände laufen.

Und der Grund, warum sie damit angefangen haben, war, dass sie Angst hatten, dass die Russen ein parapsychologisches Forschungsprogramm haben. Und die Russen hatten so ein Forschungsprogramm, weil sie Angst hatten, dass die Amerikaner eins haben.

Und die Süddeutsche Zeitung:

Die CIA stampfte Projekt „Star Gate“ nach Empfehlung der Prüfer ein.

Zu diesen Prüfern gehörte der Psychologie-Professor und Skeptiker Ray Hyman. Seine „Evaluation of a Program on Anomalous Mental Phenomena“ aus dem Jahr 1995 findet sich hier und hier.

Viele Leute, die schon einmal klinisch tot waren, erzählten hinterher, sie hätten sich als Geister außerhalb ihres Körpers bewegt, seien ihn ein großes Licht geschwebt, von Engeln und toten Verwandten empfangen worden, hätten am Ende die liebende Gegenwart Gottes erfahren.

Eben Alexander – ein Neurochirurg, der wegen einer Hirnhautentzündung ins Koma fiel und eine erschütternde Nahtoderfahrung hatte – schrieb darüber einen Bestseller, in dem er behauptete, er habe jetzt den Beweis für die Existenz des Himmels […]

Aus wissenschaftlicher Sicht können Nahtoderfahrungen sehr gut mit dem Serotoninspiegel während des Sterbevorgangs und der Aktivierung körpereigener Halluzinogene erklärt werden. Über ein Leben nach dem Tod sagen sie nichts aus.

Der Amerikaner Eben Alexander ist zwar Neurochirurg – seine Bücher über Nahtoderfahrungen sind aber trotzdem keine Wissenschaft, sondern religiös-spirituelle Bekenntnisse.

Auf Seite 394 beschreibt Dan Brown Nahtoderlebnisse als eine Art „Vorausdeutung“ dessen, was dann komme. Der Bonner Neuropsychologe Christian Hoppe dagegen sagt:

Ich will nicht behaupten, dass man jeden einzelnen anekdotischen Bericht, den man finden kann, im Einzelnen erklären könnte.

Aber in vielen Fällen findet man eigentlich ganz gute Erklärungen, wenn man sich den Vorgang sehr präzise noch einmal anschaut.

Dem Psychologen Dieter Vaitl zufolge existiert derzeit noch kein neurobiologisches Modell, das die Vielfalt und Verschiedenartigkeit von Nahtoderfahrungen zufriedenstellend erklären könne. Derzeit kursieren mindestens zehn verschiedene Erklärungsansätze für Nahtoderlebnisse.

Es gibt also nicht die eine Erklärung für alle Erfahrungen und Beobachtungen, zumal Teilaspekte davon auch im Alltag und nicht nur in Extremsituationen auftreten können. Insofern besteht bei diesem Phänomen noch Forschungsbedarf. Aber dass „unser Bewusstsein außerhalb von uns verankert ist“ (Dan Brown) – dafür finden sich keinerlei Belege.

  • Zehnte Falschmeldung: Die multiple Persönlichkeitsstörung sei dadurch zu erklären, dass tote Personen von einer lebenden Person Besitz ergriffen.

Multiple Persönlichkeitsstörungen waren der Hit in der Psychologie der Neunzigerjahre. Verschiedene Leute schienen im Körper von ein- und demselben Menschen zu leben; sie sprachen mit unterschiedlichen Stimmen, hatten unterschiedliche Persönlichkeiten, wussten nichts voneinander. Mittlerweile sind Psychologen dazu übergegangen, von einer „Dissoziativen Identitätsstörung” (DIS) zu sprechen […]

In Dan Browns jüngstem Roman führt ein schweres Kindheitstrauma dazu, dass eine junge Frau sich zeitweise in ihren starken, männlichen Beschützer verwandelt. Noch schlimmer: Jener Beschützer ist in Wahrheit ein Toter, der aus dem Jenseits nach ihr greift.

Dieses hält Dan Brown für wissenschaftlich.

Ist es nicht. Das hatten wir gerade erst hier im Blog. Ein „Faktencheck aus wissenschaftlicher Perspektive“ zur DIS ist im Psychotherapeutenjournal (1/25) erschienen.

Und man könnte noch weit über diese elf Punkte hinausgehen, die Hannes Stein aufspießt. Dan Brown feiert in „The Secret of Secrets“ zum Beispiel auch die Uralt-Story vom vorhergesagten Untergang der Titanic (1912) – und zwar in dem Roman „Futility, or the Wreck of the Titan“ von Morgan Robertson aus dem Jahr 1898:

https://www.amazon.de/Titan-Eine-Liebesgeschichte-auf-hoher/dp/3453123581

Was es damit auf sich hat, kann man sogar bei einer Allerweltsquelle wie Wikipedia nachlesen:

Robertson selbst bestritt nach dem Untergang der Titanic die These, er habe eine übernatürliche Vorahnung gehabt. Vielmehr seien die auffälligen Übereinstimmungen auf seine besonderen Fachkenntnisse über den Schiffbau zurückzuführen.

Dann kommen noch Wahrträume, MKUltra und vieles mehr.

Allerdings: Das Turiner Grabtuch hält sogar Robert Langdon in „The Secret of Secrets“ für eine Fälschung.

Immerhin.

Zum Weiterlesen:

Titelfoto: Unsplash/Dmitry Berdnyk

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