Das „wahre Grabtuch Jesu“ ist eine Fälschung – wusste man schon im 14. Jahrhundert

(Lesedauer ca. 4 Minuten)

Anscheinend war so manche religiöse Autorität des Spätmittelalters vernünftiger als viele heutige Shroudies.

Zum Beispiel der Bischof von Troyes, Pierre d’Arcis.

1389 geht in der Gemeinde Lirey, südöstlich von Paris, etwas Ungeheuerliches vor sich. Pilger in großer Zahl besuchen den Ort, um das „wahre Grabtuch Jesu“ zu bestaunen. Ausgestellt ist es in der Stiftskirche Maria Verkündigung, die von dem angesehenen Ritter Geoffroy von Charny erbaut wurde.

Doch beim zuständigen Oberhirten, Pierre d’Arcis, ruft das mysteriöse Leinen nur ungläubiges Kopfschütteln hervor. D’Arcis stellt Nachforschungen an. Er findet heraus, dass die Charnys das Tuch seit etwa 35 Jahren öffentlich herzeigen. Und dass sich bereits sein Amtsvorgänger, Bischof Henri de Poitiers, mit der Angelegenheit befasst hatte.

D’Arcis ist empört ob der Unverfrorenheit der Stiftsherren von Lirey:

Obwohl man es nicht öffentlich das wahre Grabtuch Christi nennt, wird es nichtsdestoweniger privat als solches ausgegeben und dies als Gerücht verbreitet, und so wird es von vielen geglaubt, umso mehr, weil bei früheren Gelegenheiten erklärt wurde, es sei das wahre Grabtuch Jesu.

Schließlich verfasst Bischof Pierre d’Arcis ein wortmächtiges Memorandum an Papst Clemens VII.:

Die Sache, Heiliger Vater, verhält sich so:

Vor einiger Zeit hat in dieser Diözese von Troyes der Dekan einer gewissen Stiftskirche, und zwar der von Lirey, fälschlich und betrügerisch, von der Leidenschaft der Habsucht verzehrt und nicht aus einem Motiv der Frömmigkeit, sondern nur des Gewinns für seine Kirche wegen, ein mit Schlauheit gemaltes Tuch angeschafft, auf dem durch geschickte Kunst das zweifache Bild eines Mannes gemalt wurde, das heißt die Rück- und Vorderseite, wobei er fälschlich erklärt und vorgibt, dass dies das wirkliche Grabtuch sei, in welches unser Heiland Jesus Christus im Grab eingehüllt war und auf welchem das ganze Bildnis des Heilands zusammen mit den Wunden, die Er trug, auf diese Weise abgedrückt wäre.“

D’Arcis betont, bereits sein Amtsvorgänger habe die vermeintliche Reliquie für eine Fälschung gehalten:

Herr Henri de Poitiers seligen Angedenkens, seinerzeit Bischof von Troyes, zu dessen Kenntnis es kam und der von vielen klugen Personen gedrängt wurde, dagegen vorzugehen, setzte sich ernsthaft ein, die Wahrheit in dieser Sache zu erforschen.

Denn viele Theologen und andere verständige Personen erklärten, dass dies nicht das wahre Grabtuch des Herrn sein könne, auf dem des Heilands Bild abgedrückt ist, da das heilige Evangelium keine Erwähnung von einem solchen Abdruck tat, während es, wenn es wahr gewesen wäre, ganz unwahrscheinlich ist, dass die heiligen Evangelisten es zu berichten unterlassen hätten oder dass die Tatsache bis zur gegenwärtigen Zeit hätte verborgen bleiben sollen.

Schließlich, nach sorgfältiger Erkundigung und Prüfung, entdeckte er den Betrug und wie das genannte Tuch mit Schlauheit gemalt wurde, wofür die Wahrheit von dem Künstler bestätigt wird, der es gemalt hat, nämlich dass es ein Werk menschlicher Geschicklichkeit und nicht wunderbar bewirkt oder verliehen ist.

Und er stand mit dieser Überzeugung keineswegs alleine da.

Nikolaus von Oresme/Wikipedia

Auch der bedeutende normannische Theologe Nikolaus von Oresme (1330-1382) bezeichnete das Turiner Grabtuch als Musterbeispiel für einen klerikalen Betrug. Eine entsprechende Passage findet sich in Oresmes Abhandlung „Problemata“, die von den Historikern Alain Boureau und Béatrice Delaurenti entdeckt wurde.

Dieser Text ist zwischen 1355 und 1382 erschienen, also noch vor D’Arcis‘ Memorandum, und stellt somit die älteste Quelle dar, die das „Sacra Sindone“ unumwoben eine Fälschung nennt.

https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/03044181.2025.2546884

Im Journal of Medieval History hat der französische Kunsthistoriker Nicolas Sarzeaud jetzt dazu publiziert. Er arbeitet heraus, dass Oresme als Beispiel für seine Wunderkritik eine „Kirche in der Champagne“ hervorhob, in der sich angeblich das Grabtuch des Herrn Jesus Christus befinde – in Wahrheit es sich aber um „eine von Kirchenmännern geschmiedete Lüge“ handele.

Sarzeauds Fazit:

Einmal mehr versagt die Rhetorik der heutigen Sindonologen gegenüber authentischen Berichten aus dem 14. Jahrhundert, die das Tuch von Anfang an als Fälschung in betrügerischer Absicht beschrieben haben.

Zum Weiterlesen:

Titelfoto: Wikipedia

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