Gartenzwerge

Anthroposophisch aufgewachsen zu sein, bedeutet schon immer… 

(Lesedauer ca. 4 Minuten)

von Jacob König-Otto

Wenn es Orte gibt, über die Anthroposoph:innen alter Schule mit Gewissheit die Nase rümpfen würden, dann wären Soziale Netzwerke wie Instagram sicherlich dabei. Kommen doch hier Illusionen und Zerrbilder mit passivem Konsum kalter technischer Medien zusammen, Luzifer und Ahriman. Aber auch die orthodoxeste Waldorfschule verhindert nicht, dass ihre Schülerinnen und Schüler einmal flügge, sich ihre Nester auch bei Meta oder Youtube bauen. 

Musste man im realen Leben schon lange sehr viel Glück haben, um nicht unfreiwillig mit Anthroposophie konfrontiert zu werden, oder sie aus Versehen in den Einkaufswagen zu legen, nimmt seit Jahren die Wahrscheinlichkeit zu, auch im Netz über Steiner zu stolpern.

Das Profil von annelinawaller auf Instagram ist so ein Netzauftritt, an dem man leicht Anstoß nehmen könnte. Die junge und sportliche Yogalehrerin teilt auf den ersten Blick erwartbare Inhalte: Yogaübungen, gesundes Essen, Einkaufstouren, Badeurlaub, Freundschaft. Doch dazwischen mischen sich auch andere Inhalte. Einige der Videos beginnen mit dem Satz „Anthroposophisch aufgewachsen zu sein, bedeutet schon immer…“. Darauf folgt eine Serie von Cuts, die durch die Auflistung der vermeintlichen Merkmale einer anthroposophisch geprägten Kindheit führen. Ein kleiner Remix gefällig? Nun, es bedeutet wohl „Strohhüte und Weidenkörbe“, „mit Stoffpuppen zu spielen“, „im Zirkus gewesen zu sein“, „Zahncreme frei von Tensiden oder synthetischen Stoffen“, „Bienenwachskerzen frei von Zusatzstoffen“, „zusammen zu essen“, „Gläser beim Einkaufen“, „Demeter – Essen“, „Motten“, „Fruchtriegel“, „über Engel und Zwerge zu sprechen„, „Nüsse selbst zu knacken“, „gestrickte Flötenhüllen zu besitzen“, „Magenbitter zu verwenden“, „Eurythmie“, „kolloidales Silberspray auf Wunden zu sprühen„, „zu stricken“, „Flöte zu lernen“, „mit Sonnencreme eingeschmiert zu werden“, „Algentabletten in der Küche zu haben“, „keinen Fernseher zu haben“,… Das ganze endet mit dem Fazit „krass“.

Vollkommen gewöhnliche Dinge, die man auch jenseits von Esoterik haben kann, wenn es dem eigenen Geschmack entspricht, werden ganz beiläufig mit krasser Esoterik gemischt. Du magst Bienenwachskerzen, Filz und Blockflöten? Dann probiere es doch mal mit Demeter, Eurythmie und kolloidalem Silber! Viele der aufgezählten Dinge wirken belanglos, unverfänglich und alltäglich, aber die Kenner:innen wissen, was gemeint ist. So geht es bei Zwergengeschichten natürlich nicht um Schneewittchen oder J.R.R. Tolkien. Für überzeugte Anthroposophen sind Zwerge etwas ganz Reales, kein fantastisches Produkt der Märchenwelt. 

Dennoch teilen natürlich auch Menschen, die anthroposophisch aufgewachsen sind, viele alltägliche Kindheitserfahrungen mit denen, in deren Erziehung Anthroposophie keine prägende Rolle spielt. Das sollte keine große Überraschung sein. Die wilde Mischung aus anthroposophischem Gedankengut, die uns hier präsentiert wird, normalisiert die Anthroposophie allerdings und lässt ihre problematischen Facetten aus. Anthroposophie, so vermitteln uns diese bunten Reels, sei so normal wie Sonnencreme am Strand! Und damit völlig unproblematisch! 

Anthroposophisch aufgewachsen zu sein, bedeutet aber schon immer, dass das ganze Leben von Anthroposophie durchzogen ist. Dass man Nüsse knacken für bemerkenswert und kolloidales Silber für normal hält, dass man in einer abgekapselten Parallelwelt aufwächst, dass einem medizinische Versorgung vorenthalten wird, dass ein großes Risiko besteht, sich auch als Erwachsener nicht selbst von Esoterik befreien zu können… krass!

Zum Weiterlesen:

Und zum Weiterhören:

Quarks Science Cops “Die Akte kolloidales Silber: kolossaler Quatsch?” (16. Januar 2023 | 4. Oktober 2024)

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