Wird der Dokumentarfilm „Blinder Fleck“ immer mehr zu einer Münchhausen-Story?

(Lesedauer ca. 5 Minuten)

Die „vielen blinden Flecke des Dokumentarfilms Blinder Fleck“ haben wir hier im Blog aufgezeigt. Im Kommentarbereich eines anderen Beitrags hat sich die Regisseurin Liz Wieskerstrauch darüber hinaus selbst desavouiert.

Das Münsteraner Gutachten zu „Ritueller Gewalt“ nennt Aussagen einer ihrer Protagonistinnen „weder plausibel noch glaubhaft“ (Seite 118):

https://www.bistum-muenster.de/fileadmin/user_upload/Website/Downloads/Themenseiten/Rituelle-Gewalt/2025-10-09-Untersuchungsbericht-RG.pdf

Und nun das:

Ein Kind, das einer Kriminalbeamtin seine traumatischen Erlebnisse schildert. Ihr Vater hätte sie fremden Männern übergeben, die sie anschließend immer wieder auf die gleiche Art und Weise missbraucht hätten.

Die Mutter, die von Bauchschmerzen, den Albträumen ihres Kindes und dem vergeblichen Versuch erzählt, Ermittlungen in die Wege zu leiten.

So rezensiert die österreichische Wochenzeitung Tips szenenmalerisch den Film „Blinder Fleck“ – voll des Lobes und der Anerkennung für Wieskerstrauchs ach so mutige Arbeit.

Dumm ist nur: Die Mutter sei „nachweislich der Falschbeschuldigung und des Kindesentzugs überführt worden“, schreiben Eva Sudholt und Alexander Rupflin in der aktuellen Ausgabe von Zeit Verbrechen (35/2025).

https://shop.zeit.de/ZEIT-VERBRECHEN-35-25/50829

Die Zeit hatte vor drei Jahren bereits über die Mutter (Pseudonym „Sandra Busch“), das Kind („Merle“) und den Vater („Martin Koch“) berichtet. Ein Gutachter habe damals festgestellt, dass „Merles Schilderungen gegenüber der Polizei höchstwahrscheinlich einstudiert“ gewesen seien. Jemand müsse das Kind so lange beeinflusst haben, bis es etwas auswendig wiedergab, das nie geschehen war.

2024 sei Sandra Busch zu neun Monate Haft verurteilt worden, ausgesetzt
zur Bewährung. Merle kam bereits davor in eine Pflegefamilie, nachdem der Vater an einem Herzinfarkt gestorben war. Und was Merles „Bauchschmerzen“ angeht: Sehr wahrscheinlich liege bei Sandra Busch ein Münchhausen-by-Proxy-Syndrom vor – das heißt, sie hat Merles zahlreiche Erkrankungen wohl selbst herbeigeführt.

https://shop.zeit.de/ZEIT-VERBRECHEN-35-25/50829

Mit diesen Erkenntnissen konfrontierten Sudholt/Rupflin das Podium um Liz Wieskerstrauch bei der Filmdiskussion am 25. Juni in Ulm – organisiert von der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm:

Auf Nachfrage von ZEIT Verbrechen, warum die Regisseurin eine Frau zur wichtigsten Protagonistin macht, die nachweislich der Falschbeschuldigung und des Kindesentzugs überführt wurde, weicht sie aus.

Es handele sich bei der Mutter gar nicht um die genannte Person, sagt sie. Um ihre Anonymität zu wahren, habe sie die Frau aus mehreren Fällen kombiniert.

Warum manche Sätze im Film wortgleich aus den Ermittlungsakten stammen, kann sie nicht erklären. Auch nicht, ob es bei einem Film, der als Dokumentation ausgewiesen wird, handwerklich statthaft ist, eine Protagonistin aus mehreren Personen zusammenzusetzen.

Im Publikum führen solche Nachfragen zu empörten Zwischenrufen. Nach einer halben Stunde ist das Gespräch zu Ende.

Mehr braucht man dazu wohl nicht zu sagen – höchstens noch ein Zitat von Heidemarie Cammans (False Memory Deutschland) aus dem Artikel:

Die Leute wollen das glauben. Sie wollen sich selbst auf der richtigen,
guten Seite sehen, und ihnen gegenüber steht das absolut Böse.

Damit ist der Beitrag von Eva Sudholt und Alexander Rupflin allerdings noch lange nicht zu Ende. Auf den insgesamt 15 Seiten geht es praktisch um alle Aspekte der Rituelle Gewalt-Mind Control-Verschwörungstheorie (RG-MC), von der Dissoziativen Identitätsstörung (die längst ein „wahnhaftes Eigenleben“ entwickelt habe) über Michaela Huber („die wohl vehementeste Vertreterin der Verschwörungstheorie rund um okkulte Missbrauchsringe, die ihre Opfer mit DIS und Gedankenkontrolle steuern“) bis hin zu einer Betroffenen von induzierten Scheinerinnerungen, die heute „fast ungläubig auf die wissenschaftsferne, gefährliche Praxis zurückblickt, die bei so vielen Therapeuten zur Anwendung kommt“.

Übrigens:

Auch der Kriminalist Axel Petermann, der in „Blinder Fleck“ der Regisseurin „als Feigenblatt diente“, widerspricht in Zeit Verbrechen seiner Kontrastierung in Wieskerstrauchs Film durch einen anonymen angeblichen Polizisten, der behauptet, dass die Täter bis in die höchsten Behördenkreise hineinreichten und dort geschützt würden:

Petermann sagt, er habe stets das Gegenteil erlebt, eine große Ermittlungsfreiheit und viel Unterstützung durch die Staatsanwaltschaft.

Vermutlich glaubt Wieskerstrauch immer noch ernsthaft, „im journalistischen Sinne ausgewogen“ zu sein. Und das Szene-Publikum, aus dem sich die große Mehrzahl der Kinobesucher zusammensetzen dürfte, spendet „frenetischen Applaus für die vorgeführten Opfer“, wie Sudholt/Rupflin in mehreren Städten beobachteten.

Zum Schaden echten Opferschutzes,

heißt es in „Erinnerst du dich?“ zutreffend.

Zum Weiterlesen:

Titelfoto: Unsplash/Jr Korpa

Kommentare

Eine Antwort zu „Wird der Dokumentarfilm „Blinder Fleck“ immer mehr zu einer Münchhausen-Story?“

  1. Um ihre Anonymität zu wahren, habe sie die Frau aus mehreren Fällen kombiniert.

    Spätestens nach so einer Konstruktion bleibt doch von dem eigentlichen Fall gar nichts mehr übrig.

    Gehört dann wohl zur Kategorie „Geschichten die zählen“. (Aktuelles Motto bei der UKASK)

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