Die große öffentliche Kontroverse um den Dokumentarfilm „Memory Wars“ über Elizabeth Loftus ist bislang ausgeblieben – durchaus zum Bedauern von Regisseur Hendrik Löbbert, wie er uns beim Filmgespräch in München sagte. Die Diskussion nach der Vorstellung am 10. September verlief denn auch eher harmonisch, wie zuvor bereits in Köln, Hamburg und Frankfurt.

Dabei findet in der Fachwelt eine „heftige Debatte“ zum Thema Falscherinnerungen statt, wie die Sozialpsychologin Prof. Aileen Oeberst erklärte. Die Forscherin an der Universität Potsdam wies darauf hin, dass „alle, die an diesem Diskurs beteiligt sind, das Wohl von Menschen im Blick haben“. Dies sei der Common Ground, der einen Austausch eigentlich möglich machen sollte.
Auch die Rechtspsychologin Elena Ebner sprach von „verhärteten Fronten“ zwischen Traumatherapie und Aussagepsychologie, äußerte aber zugleich die Hoffnung auf eine Annäherung, etwa durch gemeinsame Forschungsvorhaben.

Filmkritiker nehmen das „Problemfeld“, welches „Memory Wars“ eröffnet, durchaus wahr:
Rechtsstaatliche Erfordernisse der Beweisführung geraten oft mit den seelischen Nachwirkungen sexueller Traumatisierung in Konflikt,
schreibt der Filmdienst:
Der zentrale Punkt von „Memory Wars“ ist die Kritik medialer und therapeutischer Suggestionskraft.
Löbbert erinnert an den Höhepunkt von Loftus’ Karriere während der sogenannten Satanic Panic in den 1980er-Jahren, bei der sich die Wissenschaftlerin gegen die „Recovered-Memory Therapy“ engagierte.
Die Welt nutzt die Doku als Aufhänger für einen ausführlichen Artikel über das „False Memory Syndrom“ und zieht das Fazit:
Elizabeth Loftus hat festgestellt: „Es gab keine glaubwürdigen wissenschaftlichen Beweise für diese Idee der massiven Verdrängung.“
Freud verließ sich lediglich auf die Dinge, die ihm Patienten erzählten. Loftus unterscheidet somit zwischen „Happening Truth“ und „Story Truth“: das reale Geschehen und die Geschichte, die sich Menschen selbst erzählen, um sich besser zu fühlen, auch wenn sie nicht stimmt.
Man wünscht sich, ihre psychologische Expertise würde noch viel weitere Kreise ziehen, um in einer Welt voller Fake News endlich wieder der Stimme der Vernunft Gehör zu verschaffen.

Einig sind sich die Rezesent:innen darin, dass Hendrik Löbbert ein starkes und empathisches (epd Film) Porträt einer „kämpferischen Frau“ gelungen ist, „deren Pioniergeist in einer noch immer männlich dominierten Wissenschaftsdisziplin nachhaltig beeindruckt“ (Filmdienst).
Der NDR zitiert aus „Memory Wars“ zwei Sätze von Loftus‘ Bruder:
Du stehst auf der Mauer zwischen Unschuldsvermutung und Vorverurteilung durch die Massen. Wir brauchen dich, um die Integrität und das Vertrauen in unser Justizsystem zu bewahren.
Der Fall „Josephine R.“ lässt grüßen.
Die Kinotermine der nächsten Zeit finden sich auf der Verleihseite.
Zum Weiterlesen:
- Harder, Bernd „Memory Wars: Doku über Elizabeth Loftus und das Thema Falscherinnerungen neu im Kino“ skeptix (18. August 2025)
- Harder, Bernd „Falscherinnerungen – das Thema, dem Wieskerstrauch und Co. sich standhaft verweigern“ skeptix (16. Juni 2025)
- Bahl, Silvia „Memory Wars – Elizabeth Loftus und die Macht der Erinnerung“ filmdienst (12. September 2025)
- Bergholz, Keno „Dokumentarfilm: Können wir unserem Gedächtnis trauen?“ tagesschau (12. September 2025)
- Büchsenmann, Jens „Memory Wars: Doku zeigt die Grenzen unseres Erinnerungsvermögens“ ndr (11. September 2025)
- Borcherdt, Gesine „Memory Wars: Und plötzlich kam die Erinnerung an den Mord“ welt (10. September 2025)
- Kontić, Dobrila „Memory Wars – Elizabeth Loftus und die Macht der Erinnerung“ kino-zeit (10. September 2025)
- Grübl, Josef „Dokumentarfilm Memory Wars: Was nicht bleibt, ist die Erinnerung“ Süddeutsche (3. September 2025)
- Hallensleben, Silvia „Kritik zu Memory Wars – Elizabeth Loftus und die Macht der Erinnerung“ epd film (22. August 2025)
- Fischer, Kathrin „Mögliche begünstigende Faktoren für die Entstehung von falschen Überzeugungen oder Scheinerinnerungen eines erlebten sexuellen Kindesmissbrauchs innerhalb oder außerhalb einer Erwachsenen-Psychotherapie“ Thes (19. März 2025)
- Oeberst, Aileen „Das kann in katastrophalen, falschen Erinnerungen münden“ zeit (27. Mai 2022)
- Video „Wissenschaftliche Glaubhaftigkeitsbeurteilung vs. pseudowissenschaftliche Lügenerkennung“ WTF-Talk (23. August 2025)
- Niehaus, S., Sonnicksen, M. Traumatherapie und ihre Schattenseiten: Über unerwünschte Nebenwirkungen müssen wir reden, statt sie zu verharmlosen. Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 2025/05/23
- Schemmel, J., Datschewski-Verch, L., Volbert, R. Recovered memories in psychotherapy: a survey of practicing psychotherapists in Germany. Memory, 32(2), 176–196
- Grams, Natalie „False Memories – Gedanken im Nachhinein konstruieren“ detektor.fm (24. Juni 2024)
- Birzele, Anna/Liebrand, Bianca „Gedächtnis, Erinnerung und ihre Tücken“ EI-Tagungsband 2023
Titelfoto: Emily Schuster-Woldan/mindjazz



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