Verschwörung, Medienmacht und ganz viel Tanz: „Shen Yun“ auf Deutschlandtournee

(Lesedauer ca. 6 Minuten)

„Verfolgte Künstler“ nennt sich eine eigene Rubrik auf der Webseite von Shen Yun:

https://de.shenyunperformingarts.org/tag/name/t/Persecuted-Artists

Dort erzählen Mitglieder der Tanzgruppe Geschichten „von Terror und Mut, Tragödie und Hoffnung“:

Viele der Künstler von Shen Yun haben auf die eine oder andere Weise einen gemeinsamen Hintergrund – sie wurden wegen ihres Glaubens durch das größte totalitäre Regime der Welt verfolgt.

Das „Regime“ ist die Kommunistische Partei Chinas.

Bei dem „Glauben“ handelt es sich um eine „volkstümlich-synkretistische Mischung aus buddhistischen, daoistischen, konfuzianischen und chinesisch-volksreligiösen Elementen“ namens Falun Gong (auch „Falun Dafa“), erläutert die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in ihrem Materialdienst. Die chinesische Regierung hat die Falun Gong-Bewegung 1999 verboten „und seither nach Möglichkeit mit allen Mitteln unterdrückt“.

„Shen Yun“ wiederum wurde 2006 gegründet und ist zurzeit mit „atemberaubendem Tanz und beeindruckender Musik“ auf D-A-CH-Tournee. Im Werbematerial zum Beispiel für einen Auftritt in Füssen Anfang April holpern ein paar Sätze, die man leicht überlesen könnte:

Jede Aufführung besteht aus etwa 20 verschiedenen Stücken […]

Einige Stücke berühren auch das heutige China und beleuchten die Unterdrückung, die viele für ihre spirituellen Überzeugungen ertragen, wie z.B. Falun Dafa.

Klingt nach einer guten Sache. Wieso aber steht Shen Yun in der Kritik, aktuell etwa vom Schweizer Berufsverband Darstellende Künste oder von Jan Böhmermann im ZDF Magazin Royale?

https://www.zdf.de/comedy/zdf-magazin-royale/zdf-magazin-royale-vom-14-februar-2025-100.html

Mit diesem scheinbaren Widerspruch hat sich bereits vor 20 Jahren die Informationsstelle relinfo in der Schweiz beschäftigt. Unter der Überschrift „Märtyrer oder Sektierer?“ fragte sich der Religionswissenschaftler Georg Schmid, wem man nun glauben solle: den „Zerrbildern der Falun-Gong-Gegner“ oder den „Propagandabildern der Bewegung“.

Auch die EZW bemängelte schon 2011 die „propagandistische Vermengung von Politik und Spiritualität in konzertierten Aktionen der Bewegung“:

Der Protest gegen – nicht nur für Falun-Gong-Anhänger prekäre! – Menschenrechtsverletzungen in China sollte von der Werbung für Falun Gong klar unterscheidbar bleiben.

Das allein wäre freilich noch kein schwerwiegender Vorwurf. Allerdings darf Falun Gong nach einem Urteil des OLG Dresden als „Psychosekte“ bezeichnet werden. Und das Ensemble „Shen Yun Performing Arts“ [der Wikipedia-Eintrag ist wegen Propaganda-Verdachts zur Löschung vorgeschlagen] gilt als „Wirtschaftsmotor“ für die Falun Gong-Bewegung und ihren Führer Li Hongzhi.

Laut New York Times habe der Ticketverkauf für die acht Tanzensembles, die gleichzeitig auf der ganzen Welt auftreten, mehr als 265 Millionen Dollar erbracht. Den Preis dafür zahlten die jungen Darsteller, die von Ausbeutung und emotionalem Missbrauch berichten. Auch bei schweren Verletzungen gebe es keine adäquate medizinische Betreuung, da im Glaubenssystem von Falun Gong Krankheiten praktisch nicht vorgesehen seien. Eine Stellungnahme der Tanzkompanie zum Artikel der New York Times findet sich hier.

https://www.nytimes.com/2024/08/15/nyregion/shen-yun-dance-abuse.html

Verstärkt werde die Botschaft der Shen Yun-Aufführungen durch ein „Netzwerk von Unternehmen“, zu dem auch die „rechtspopulistische bis rechtsextremistische“ Epoch Times gehört. Das Portal NewsGuard verortet die Epoch Times regelmäßig unter den „unglaubwürdigsten Webseiten“.

Neben Corona-Fakes sowie Evolutions– und Klimawandelleugnung gibt die Zeitung auch Shen Yun und dem Falun Gong-Gründer Li Hongzhi regelmäßig eine Bühne, dessen Doktrinen der Spiegel „skurril bis radikal“ nennt:

In einem Buch, dem zentralen Lehrwerk „Zhuan Falun“, warnt er vor karmischen Übeltaten. Homosexualität nennt  er dabei in einem Atemzug mit Drogenmissbrauch und Auftragsmord […]

Beim Shen-Yun-Auftritt in Berlin kommen Lis Predigten nur unterschwellig zur Sprache. Immer wieder schwingt Kritik an einem angeblichen Sittenverfall mit, der mit moderner Wissenschaft in Verbindung gebracht wird.

„Die Evolutionstheorie steht ohne jeden Halt da“, singt ein Tenor in einem Lied. Später soliert eine Sopranistin: „Atheismus und Evolutionstheorie werden von Satan selbst dirigiert. Mit modernen Anschauungen und Verhaltensweisen erniedrigt sich der Mensch nur selbst“.

Bloß wer sich widersetze, werde von Dafa, „dem großen errettenden Gebot“, erlöst.

„Shen Yun ist also keine harmlose Tanzshow, sondern propagiert zumindest in Teilen die Lehre eines elitären Kultes mit Exklusivitätsanspruch“, schrieb aucht-online im vergangenen Jahr:

Das sollten potenzielle Zuschauerinnen und Zuschauer der Show bedenken, wenn sie beim Anblick der bunten Werbung in der Innenstadt darüber nachdenken, eine Karte für Shen Yun zu kaufen.

Diese Erkenntnisse hat Böhmermann am letzten Freitag in bekannter Manier zugespitzt, als er von der „pseudoreligiösen Politpropagandashow einer homophoben und rassistischen Psychosekte“ sprach:

https://www.zdf.de/comedy/zdf-magazin-royale/zdf-magazin-royale-vom-14-februar-2025-100.html

Da will man einfach nur einen netten Abend im Dortmunder Opernhaus haben, und zack, meldet man am nächsten Morgen die Enkelkinder vom Biounterricht ab.

Und wie löste er den inhärenten Konflikt zwischen „Märtyrer oder Sektierer“ auf?

Denn nach wie vor steckt man mit Kritik an der Falun Gong-Bewegung in einem Dilemma, wird Ralph Weber, Professor für European Global Studies an der Universität Basel, im Tagesanzeiger zitiert: „Sehr oft überlappen sich die wie auch immer motivierten Kritikpunkte mehr oder weniger direkt mit Anti-Falun-Gong-Propaganda der Kommunistischen Partei Chinas.“

Zitat aus der Böhmermann-Sendung:

Nur weil eine Psychosekte von einem autoritären Unterdrückungsregime verfolgt wird, ist sie nicht automatisch super. Die Tanzshow Shen Yun ist nicht das, was sie vorgibt zu sein […]

Falun Gong wird in China unterdrückt und verfolgt – das stimmt. Das bedeutet aber nicht, dass Falun Gong nicht selber ziemlich radikal und problematisch ist.

Es ist diese Gleichzeitigkeit von Dingen, die Zeiten sind kompliziert. Die Widersprüchlichkeit der Welt – wir müssen lernen, sie auszuhalten.“

Quellen:

Titelfoto: Falun Gong-Praktizierende in Los Angeles/Wikipedia Commons © longtrekhome

Kommentare

Eine Antwort zu „Verschwörung, Medienmacht und ganz viel Tanz: „Shen Yun“ auf Deutschlandtournee“

  1. Bernd Harder

    Former dancer for global Chinese dance group Shen Yun alleges exploitation and harsh conditions:

    https://www.nzherald.co.nz/nz/a-former-dancer-for-the-global-chinese-dance-group-shen-yun-alleges-exploitation-and-harsh-conditions/M4HF6VHP3ZEGDIUNRYQ5L5WOWY/

    „Ein ehemaliger Shen Yun-Darsteller behauptet, das Geschäftsmodell der Organisation sei eine Art „Menschenhandel“ mit straffen Arbeitszeiten und niedriger Bezahlung. Die Direktorin von Shen Yun, Ying Chen, bestreitet die Vorwürfe und führt sie auf eine Kampagne der Kommunistischen Partei Chinas zurück. Die New Yorker Arbeitsaufsichtsbehörde ermittelt gegen Shen Yun wegen möglichen Visumsbetrugs und angeblicher Ausbeutung von Darsteller:innen.“

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