Schon seit Jahren hatte ich den Wunsch, irgendwann mal zu Pfingsten nach Leipzig zu fahren, um hautnah das WGT (Wave-Gotik-Treffen) mitzuerleben. Da sich aber nie eine Gelegenheit ergeben hatte, rückte dieser Wunsch über die Jahre langsam in den Hintergrund.
Doch dann erfuhr ich über Skeptix von einer kleinen, aber feinen Veranstaltung in der Veranstaltung: dem WTF! Leipzig, bestehend aus zwei Tagen unterschiedlichster Vorträge, eingebettet in ein Festival der schwarzen Subkultur. Da musste ich nicht lange überlegen! Schon im Dezember habe ich mir im X-Mas-Paket ein Ticket gekauft, das zusammen mit zwei hübschen Kaffeehäferl dahergekommen ist.
Von da an musste ich noch ein halbes Jahr lang Geduld haben und konnte es schließlich gar nicht erwarten, dass die Reise losging.
Die stilvolle und geschichtsträchtige Leipziger Innenstadt wird zur Bühne einer ganz besonderen Inszenierung, und das Publikum ist Teil dieser unvergleichlichen Show. Schwarze Spitzenröcke von augenscheinlich aus der viktorianischen Zeit gefallenen Figuren mischen sich unter futurisch anmutende Gestalten in schrägen Lederoutfits.
Eines meiner Highlights war sicherlich eine Person im Rollstuhl, deren Gefährt im Steampunk-Stil dekoriert war, mit Messing-Elementen und anderen dazu passenden Details. Fast hätte ich erwartet, dass es von Dampf angetrieben wird und sich mit drehenden Zahnrädern fortbewegt. Alleine solche Begegnungen zeigen, dass diese Veranstaltung, so tiefschwarz und düster sie wirken mag, gleichzeitig maximal bunt und inklusiv ist.
Der Kreativität und Individualität sind offenbar keine Grenzen gesetzt, was auch das reine Beobachten zu einem einzigartigen Erlebnis macht.
Nahtlos fügt sich hier ab Samstagmittag das WTF! ein, das der eigentliche Grund meiner Reise war. Schon beim Betreten des Kupfersaals wird klar: Hier sind alle willkommen! Ich habe mich sofort unter all den wunderbaren, interessierten Menschen wohl gefühlt.
Dank einer ordentlichen Portion „Vitamin B“ konnten wir uns Plätze in der zweiten Reihe sichern und so die Vorträge quasi hautnah miterleben.
Nach einer Begrüßung durch unsere Gastgeberin Lydia Benecke ging es gleich um ein schwieriges Thema: Diskriminierung. Ob aufgrund der Hautfarbe, des Geschlechts, des familiären oder finanziellen Hintergrundes – Ausgrenzung und Klassismus sind auch heute noch Thema in unserer Gesellschaft. Dr. Rebecca Wismeg-Kammerlander, Ruth Habeland und Annika Harrison gaben mir jedenfalls mit diesen ersten drei Vorträgen sehr viel Stoff zum Nachdenken und zur Selbstreflektion.

Etwas lockerer, aber nicht weniger spannend ging es weiter in die Welt der Vampire: Dr. Jochen Blom nahm uns mit auf die Suche nach dem wahren Schloss von Graf Dracula, und von Lydia erfuhren wir, was eine Zmora und ein Vampir gemeinsam haben.
Den perfekten Übergang zwischen diesen beiden faszinierenden Vorträgen bildete eine Lesung aus Christian von Asters neuem Buch, dem mittlerweile fünften Teil des „Liber Vampirorum“, von dem es, wie auch von den vorherigen Bänden, nur 500 Stück gibt. Ich hatte Glück, eines dieser begehrten Exemplare phantastischer Literatur zu ergattern, inklusive persönlicher Widmung.

Der dritte Block wurde von Dr. Holm Hümmler moderiert, was angesichts des Themas – Mad Scientists – eine ausgesprochen passende Wahl war, wie ich finde. Während Bernd Harder und Lydia darüber sprachen, was sich Film und Literatur unter einem „verrückten Wissenschaftler“ oder einer „verrückten Wissenschaftlerin“ vorstellten, brachten uns Maximilian Doeckel und Jonathan Focke wieder in die Realität zurück. Erst gaben sie uns eine Anleitung, wie wir mit unserer eigenen pseudomedizinischen Kreation erfolgreich werden könnten, dann zeigten sie uns Verbrechen im Namen der Wissenschaft, die tatsächlich so passiert sind.

Passend zur fortgeschrittenen Stunde stiegen wir im vierten Block mit Elisa Hoppe und Agata Koch in die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele hinab. Die zwei Kriminalbeamtinnen berichteten von einem besonders grausamen Fall. „Heimu“ sprach suizidgefährdete Mädchen und junge Frauen in einem einschlägigen Forum an und trieb sie in den Selbstmord. Danach klärte uns Lydia darüber auf, dass sexuelle Gewaltfantasien oft wirklich nur das sind, nämlich Fantasien, und nicht zwingend Straftaten zur Folge haben. Jennifer Bingemer und Laura Budnik (Projekt #180Grad), sowie Daniela Wessels (Projekt I CAN CHANGE) helfen Betroffenen, möglichst nicht straffällig zu werden, und leisten so wichtige Präventionsarbeit.
Damit war der erste Tag vorbei, und ich um einiges an Wissen und anregenden Bekanntschaften reicher. Nach einem unterhaltsamen Abend in anregender Gesellschaft bin ich zu später Stunde in mein Hotelbett gefallen. In Vorfreude auf den nächsten Tag, und ich sollte nicht enttäuscht werden!
Nach einem wunderbaren und geselligen Frühstück im Hotel ging es direkt wieder zurück zur „Schulbank“. Diese drückten wir nun freiwillig, um unser Wissen über die Zeit Queen Victorias aufzufrischen – mit Fokus auf die sexuellen Vorlieben der Menschen damals. Charmant führte uns Annika durch diesen Block, deren Strahlen einen erfrischenden Kontrast zur sonst eher düsteren Atmosphäre bot.
David Gray, Eva Hanson und Isa Theobald waren die Vortragenden dieser Unterrichtseinheit, die gleichzeitig unterhaltsam und lehrreich war. Wahnsinnig gefreut habe ich mich, Luci van Org mit ihrer Band (LUCINA SOTEIRA) live zu erleben. Nicht um Liebe und Sexualität, sondern um den Tod ging es im Vortrag von Dr. Anja Kretschmer. Denn auch das Sterben gehört zum Leben dazu. Ein würdiges Ende für diesen Block.

Nach einer Pause lernten wir, wie uns Skeptizismus vor Lügen und Betrügereien schützen kann. Alexandra Ziesché deckte mit uns gemeinsam Kriminalfälle in der Archäologie auf, während Holm die Erfolgsgeschichte der Zigarette zusammenfasste, die nicht unwesentlich auf der Verzerrung wissenschaftlicher Fakten und der Verharmlosung der Gefahren des Rauchens basierte.
Lydia erzählte uns danach, dass der einzige echte Horror in den „wahren Begebenheiten“ um das Haus in Amityville die Menschen waren, die sich diese Lügengeschichte ausgedacht und fortgesetzt hatten.
Nichts für einen empfindlichen Magen waren die Vorträge des folgenden Blocks: Mit Dr. Mirko Gutjahr reisten wir in die Vergangenheit, in eine Zeit, in der die Pest in der ganzen Welt wütete.

Noch plastischer und für mich ganz besonders spannend wurde es danach, denn Dr. Marcus Schwarz beschäftigte sich mit Prozessen von Fäulnis und Verwesung. Tatortreiniger Thomas Kundt zeigte uns nicht nur Bilder, die nichts für schwache Nerven waren, sondern erinnerte uns damit auch daran, dass das Leben kurz ist und viel zu schnell vorbei sein kann.

Den krönenden Abschluss machten Maximilian Pollux, Dr. Nahlah Saimeh und Lydia mit einem ernsten Themenkomplex, dem auch in der breiten Öffentlichkeit mehr Gehör geschenkt werden sollte: Wie werden Menschen straffällig? Wie können sie wieder ein funktionierender Teil der Gemeinschaft werden? Was sind die psychologischen Hintergründe, und welche Auswirkungen haben Sozialisierung und gesellschaftlicher Druck auf den Lebensweg einer jungen Person?


Tief beeindruckt und inspiriert traten wir am nächsten Tag zufrieden die Heimreise an. Ich bin wirklich froh, die Gelegenheit gehabt und ergriffen zu haben, an dieser Veranstaltung teilzunehmen!
Wer jetzt denkt, dass ich übertreibe, und dass eine Veranstaltung unmöglich so großartig gewesen sein kann, der oder die möge sich dann doch einfach nächstes Jahr selbst davon überzeugen.
Ich freue mich darauf, euch zu treffen!
Zum Weiterlesen:
- Video „Die schwarze Szene: Was sind eigentlich Grufties?“ WTF-Talk (16. Juni 2025)
- Harder, Bernd „SOKO Leipzig ermittelt in der Szene der Real-Life-Vampire: Interview mit Luci van Org“ skeptix (13. März 2025)
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