Es gibt schon Probleme auf der Welt.
Offenbar wird das derzeit gültige Exorzismus-Ritual der katholischen Kirche (De Exorcismis et Supplicationibus Quibusdam) gerade überarbeitet – aber es ist unklar, ob die Neuauflage „auch einen Mangel beheben wird, auf den jüngst ein spanischsprachiger Exorzist im Internet aufmerksam gemacht hatte“, meldet das Online-Magazin Katholisches.
Derzeit sei es für Priester „nicht möglich, die Öle für die Dämonenaustreibung zu weihen, ohne in Ungehorsam zu verfallen“. Im nachkonziliaren Exorzismus-Ritual von 1998 wurde nämlich „eine eigene Formel zur Weihe von exorziertem Öl weggelassen“.
Schockschwerenot! Da muss jetzt aber wirklich mal jemand dran denken.

Freundlicherweise übersetzt Katholisches auch die Pressemitteilung der Internationalen Vereinigung der Exorzisten (AIE), die im September in der Nähe von Rom ihren Kongress abhielt. Was man dem ausführlichen Tagungsbericht entnehmen kann, ist, dass wir jede Hoffnung fahren lassen müssen, die offizielle Exorzisten-Schar des Vatikans werde jemals im 21. Jahrhundert ankommen.
Ein gelegentliches Aufflackern von Vernunft („Einbeziehung moderner diagnostischer Kriterien“, „Dialog zwischen Wissenschaft und Glauben“) erlischt sogleich wieder, wenn
…. natürlich die moralische Gewissheit über das Vorliegen einer außerordentlichen dämonischen Handlung stets dem Exorzisten, also dem Priester, gehört.
Oder wenn als „heutige Ursachen dämonischer Besessenheit“ messerscharf Dinge wie „Paktabschlüsse, Mediumismus und Zugehörigkeit zu Sekten“ identifiziert werden.
Es ist nicht ganz klar, ob es Satire ist, wenn „das Exorzistenamt“ für sich beansprucht, „der sich ausbreitenden magischen Denkweise entgegenzuwirken und sie zu bekämpfen“. Vermutlich ist das wirklich ernst gemeint. Schließlich verblüffte uns die AIE schon im Sommer mit einer Warnung vor „magischen und esoterischen Inhalten“.
„Da ist es gut“, ironisierte ein Journalist solche Aussagen,
… die Gewissheit zu haben, dass es noch vertrauenswürdige Organisationen gibt, die sich in der Pflicht sehen, dem sich inflationär verbreitenden Obskurantismus entgegenzuwirken und der Vorherrschaft des Verstandes und der Wissenschaft wieder zu ihrem Recht zu verhelfen.
Eine dieser Organisationen ist die internationale Exorzistenvereinigung AIE (Associazione internazionale degli esorcisti), die vom Vatikan anerkannt ist, also als seriös einzustufen ist.
Allerdings scheint keiner der 900 Exorzisten und Hilfsexorzisten der AIE aus Deutschland zu stammen – sagt einer, der es wissen muss. Der Freisinger Pallotinerpater Jörg Müller (u.l.) macht kein Geheimnis daraus, „dass er auch von Dämonen befreit“, wie STRG_F 2019 berichtete:

Im September war Müller in der Sendung „Standpunkt am Sonntagabend“ beim „katholischen Fundi-Radio“ (Spiegel) radio horeb zu Gast. Dort erzählte er, dass vor zehn Jahren noch fünf ihm bekannte Priester „im Dienst der Bischöfe“ gestanden hätten und „das taten“ [den Exorzismus]:
Ich kenne heute keinen mehr.
Das deckt sich in etwa mit dem, was wir hier über „Exorzismus in Deutschland“ geschrieben haben.
Müller will von dem ehemaligen Münchner Kardinal Friedrich Wetter „beauftragt“ worden sein. Wetter wurde 2008 emeritiert. Von wem Müller heute beauftragt wird, sagt er nicht. In dem Radiotalk erwähnt der Ordensgeistliche, dass „ein Bischof“ ihn einmal zu einem Spukfall ins Allgäu geschickt und ein anderes Mal ihm einen vermeintlich Besessenen aus der Schweiz geschickt habe. Namen fallen keine.
Nichtsdestotrotz ist das „Standpunkt“-Gespräch mit Jörg Müller eine unfreiwillige Animation der AIE-Presseerklärung. Die anderthalbstündige Sendung illustriert authentisch, wie sich bei einem „Exorzisten“ Restrationalität, Aberglaube und magisches Denken auf eigentümliche Weise vermengen.
Müller ist promovierter Psychologe und Psychotherapeut, hält sich für „nüchtern und vernünftig“ und verwahrt sich „gegen jede Dämokratie“ – geht aber davon aus, dass
- man bei zwei bis vier Prozent seiner jährlich mehr als 200 Anfragen eine echte dämonische Belastung annehmen könne
- es eine Mischform aus psychischen Erkrankungen und dämonischer Besessenheit gibt, das heißt, „der Dämon hängt sich dran wie ein Trittbrettfahrer und benutzt dann diese Störung und macht daraus etwas Theatralisches“
- Menschen nach einem Trauma übersinnliche Fähigkeiten entwickeln könnten, wie RSPK oder Hellsichtigkeit (als Beispiel nennt er Alois Irlmaier)
- manche Gläubige Charismen besitzen, wie etwa die Gabe der Erkenntnis, und dass man diese Geistesgaben als Diagnosehilfsmittel in Besessenheitsfragen heranziehen kann
- auch Verstorbene irgendwie „mitspielen“ können (bei einer vermeintlichen dämonischen Störung)
- die Realexistenz des Satans bei einer Marienerscheinung in Medjugorje geoffenbart worden sei.
Und so weiter, und so fort.
Es sind solche Grundannahmen, die „Exorzisten“ als ungeeignet für die adäquate Betreuung von sich „besessen“ wähnenden Menschen erscheinen lassen. Wie es anders geht, skizziert eine Gruppe von katholischen und evangelischen Weltanschauungsbeauftragten in einer Infoschrift:
Wer Menschen, die sich in besonderer Weise vom Bösen bedrängt fühlen, in ihrer Not ernst nimmt und sich den Erkenntnissen theologischer und humanwissenschaftlicher Forschung nicht verschließt, benötigt unabdingbar eine pastoral verantwortungsvolle interdisziplinäre Zusammenarbeit in medizinisch-psychiatrischer, psychologisch-therapeutischer und seelsorgerisch-theologischer Hinsicht.
Derartige Teams zu bilden und neue, geeignete Formen der seelsorglichen Begleitung, von Segnungs- und Heilungsgottesdiensten zu entwickeln und zu gestalten, bleibt das pastorale Gebot der Stunde.
Das schließt obskure „Tests“ mit Weihwasser und Kruzifixen, die Müller allen Ernstes anwendet, aus, und lässt auch keinen Platz für „geistbegabte“ Mitarbeiterinnen mit Visionen von einem „zerstörten Nest“, was dann flugs auf eine frühere Abtreibung hingedeutet wird (Standpunkt am Sonntagabend, bei Minute 45:00).

Immerhin räumt Müller ein, dass Anneliese Michel „schwer traumatisiert“ gewesen war und eine Therapie gebraucht hätte. Dieser Fall wird in dem True-Crime-Podcast Abgründe noch einmal rekapituliert. Allerdings verbreitet die aktuelle Folge gleich zu Beginn den Mythos, dass der Film „Der Exorzist“ verflucht und die Dreharbeiten von zahlreichen Todesfällen und mysteriösen Vorkommnissen überschattet worden seien.
Dazu sagte der „Pater Merrin“-Darsteller Max von Sydow in der Doku „The Fear Of God – 25 Years Of the Exorcist“ (bei Minute 23:00):
If you have a production that lasts two or three weeks, nothing happens.
But if you have a production that lasts for a year or nine months, a lot of things have to happen, accidents one way or the other.
Apropos „Der Exorzist“:

In der Dokumentation „Exorzismus – Im Namen des Glaubens“ von Movie Central wird auch der Fall geschildert, der William Peter Blatty zu seinem Roman „Der Exorzist“ und zum Drehbuch für die Verfilmung inspirierte. 2021 enthüllte der Skeptical Inquirer, dass dieser „Roland Doe“ eigentlich Ronald Hunkeler hieß.
Im Weiteren geht es in dem Video um

Derweil gibt es seit heute einen neuen Wikipedia-Eintrag, und zwar zu dem „Orden Sancti Umbrae“, der sich auf seiner Webseite als
… religiöser Orden unabhängig-freikatholischer Priester und Exorzisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, Hüter alter Rituale und vergessener Traditionen des Exorzismus
präsentiert.
So gesehen, kann man fast noch froh sein, dass eine Organisation wie die „Internationale Vereinigung der Exorzisten“ Konferenzen abhält und damit einer gewissen öffentlichen Kontrolle unterliegt – während andere gleich ganz im „heiligen Schatten“ bleiben.
Von dort aus führt der „Orden Sancti Umbrae“ erklärtermaßen einen „geistlichen Krieg im Namen Jesu Christi“. Natürlich betonen auch zwei Vertreter der freikatholischen Organisation, dass die Schattenkrieger „mit Ärzten und Therapeuten“ kooperierten und ein „großer Exorzismus“ stets nur mit Genehmigung des Bischofs vollzogen werde.
Zu befürchten ist, dass damit „autonome“ Bischöfe gemeint sind, wie der Ordensgründer Philipp Lemaire, die in ihrer möglicherweise „verzerrten Wahrnehmung auch der gesellschaftlichen Wirklichkeit“ vollumfänglich die Vorstellungswelt ihrer Exorzisten teilen.
So würde sich denn auch erklären, dass diese „wöchentlich im Einsatz“ seien.
Zum Weiterlesen:
- Dreisbach, Britta „Wo Exorzismus nicht Mythos, sondern gelebte Berufung ist“ Lokalkompass (2. Oktober 2025)
- Podcast „Der Exorzismus von Anneliese Michel“ Abgründe (29. September 2025)
- Becker, Lilia „Über Exorzismus in der katholischen Kirche“ wdr (28. September 2025)
- „War Rundschau-Beitrag über Exorzismus genügend kritisch?“ SRG (24. September 2025)
- Hannemann, Uli „Leo und die Exorzisten: Himbeergeist zum Frühstück“ taz (24. September 2025)
- „Der Papst lobt Arbeit von Exorzisten“ spiegel (24. September 2025)
- „Magie des Chaos – Internationaler Exorzistenkongress“ katholisches.info (23. September 2025)
- Video „Exorzismus – Im Namen des Glaubens“ Filmzentrale (15. September 2025)
- Harder, Bernd „Exorzisten – krasse Männer Gottes oder gefährliche Allmachtsphantasten?“ skeptix (23. August 2025)
- Blum, Thomas „Der größte Trick des Teufels“ nd (29. Juli 2025)
- Harder, Bernd „Exorzismus heute: Wer stoppt die Dämonenaustreiber?“ skeptix (5. Januar 2025)
- Schimkowitz, Matt „Film Trivia Fact Check: The Exorcist’s cursed injury report“ av-club (17. Juni 2024)
- Podcast „Tödlicher Exorzismus – Der Fall Anneliese M.“ Der Fall (12. März 2024)
- Video „Von Dämonen besessen? Studentin stirbt nach “Teufelsaustreibungen“ ARD Crime Time (5. März 2024)
- Göbel, Phil „Priester über Teufelsaustreibungen: Die meisten brauchen keinen Exorzismus, sondern eine Therapie“ stern (3. Dezember 2023)
- Contreras, Cydney „The Exorcist Cast Endured Deaths, Fires and More Mishaps – Was the Set Haunted?“ syfy (25. September 2023)
- Rothenfluh, Anna „Die Exorzismus-Show der Marthe Brossier“ watson (17. Juli 2022)
- Video „Befreiung von Dämonen – Wie ticken Exorzisten?“ STRG_F (5. November 2019)
- Herwig, Malte „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ Süddeutsche (4. Mai 2016)
- Schober, Jessica „Und erlöse uns von dem Bösen“ focus (4. Januar 2014)
- „Exorzismus: Nur der liebe Gott kann helfen“ n-tv (20. Mai 2008)
- Opsasnick, Mark „The Haunted Boy of Cottage City: The Cold Hard Facts Behind The Story That Inspired The Exorcist“ Strange Magazine (1999)
- Yang, Maya „Boy whose case inspired The Exorcist is named by US magazine“ The Guardian (20. Dezember 2021)
- Autumn Sword „Demoniac: Who Is Roland Doe, the Boy Who Inspired The Exorcist?“ Skeptical Inquirer (November/December 2021)
- Harder, Bernd „Der Exorzist“ EI-Tagungsbroschüre 2024 (1. Oktober 2024)
- Harder, Bernd „Exorzismus in Deutschland“ EI-Tagungsbroschüre 2024 (1. Oktober 2024)
- Eifert, Jasmina „Exorzismus – Betrachtung aus einer psychologischen Perspektive“ EI-Tagungsbroschüre 2024 (1. Oktober 2024)
Titelfoto: Unsplash/Patrick Konior
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