„Bloß eine Scheinerklärung“: Bistum Münster untersuchte ein Dutzend Fälle ritueller Gewalt

(Lesedauer ca. 6 Minuten)

Tatsächlich haben wir uns hin und wieder gefragt, warum Prominente gegen haltlose Anschuldigungen, sie seien satanistisch-rituelle Missbrauchstäter:innen, nicht juristisch vorgehen – wie sie etwa bei kla.tv erhoben werden:

https://www.kla.tv/27211

Andererseits ist dieser Nonsens so absurd, dass „Never complain, never explain“ wohl die beste Reaktion darauf ist.

Aber was ist hiermit (man beachte die narrativen Ähnlichkeiten):

https://www.bistum-muenster.de/untersuchung_rituelle_gewalt
https://www.bistum-muenster.de/untersuchung_rituelle_gewalt

Die Rede ist von Franz Kardinal Hengsbach, Joseph Kardinal Höffner, Joachim Kardinal Meisner, Johannes Kardinal Degenhardt, Bischof Reinhard Lettmann, Bischof Heinrich Maria Janssen, Bischof Josef Homeyer, Bischof Heinrich Tenhumberg, Weihbischof Friedrich Ostermann, Weihbischof Alfons Demming, Weihbischof Franz Grave und Weihbischof Heinrich Janssen – allesamt hohe ehemalige Würdenträger der Bistümer Münster, Essen, Hildesheim sowie der Erzbistümer Köln und Paderborn.

Sie sollen organisierten Täternetzwerken angehört haben, die „schwerste Gewalttaten mit rituellen Bezügen“ begangen hätten. Das jedenfalls behaupteten in den vergangenen drei Jahren ein Dutzend Personen. Das Bistum Münster beauftragte daraufhin im April 2024 die Kanzlei Feigen · Graf mit einer Untersuchung. Im Juli 2024 und Januar 2025 schlossen sich das Bistum Essen und das Erzbistum Köln der Überprüfung an. Dabei wurden Unterlagen ausgewertet, Gespräche mit den Betroffenen geführt und aussagepsychologische Gutachten (Prof. Silvia Gubi-Kelm, Dr. Petra Wolf) erstellt.

Das Ergebnis wurde heute in Münster vorstellt:

Im Blick auf die untersuchten Fälle spricht nichts dafür, dass die Beschuldigten die ihnen vorgeworfenen Taten Ritueller Gewalt begangen haben könnten.

Die Untersuchung hat keinen einzigen belastbaren Hinweis auf die beschriebenen Vorwürfe Ritueller Gewalt und die beschriebenen organisierten Täternetzwerke erbracht. Allen Betroffenenaussagen ist das vollständige Fehlen konkreter objektiver Nachweise gemeinsam.

Als plausible Alternativerklärung für die erhobenen Vorwürfe benennt die Untersuchung mögliche suggestive Einflüsse von außen, insbesondere im Therapiekontext.

Nun sind Bischöfe keineswegs sakrosankt, wie zum Beispiel die Causa Mixa zeigte.

Das 166-seitige Gutachten der Rechtsanwälte Dr. Matthias Sartorius und Dr. Niklas Kindhäuser bündelt allerdings wie unter einem Brennglas die Problematik der Rituelle Gewalt-Mind Control-Verschwörungstheorie (RG-MC), auf die wir seit langem hinweisen. Und zwar so überzeugend, dass das Bistum Münster in einer Stellungnahme erklärt:

Wir hätten diejenigen, die in unserem Auftrag in der Vergangenheit die Rituelle-Gewalt-Theorie öffentlichkeitswirksam verbreitet und die Vernetzung der Vertreter der Theorie gefördert haben, früher stoppen müssen.

Insbesondere im Therapiekontext muss aus unserer Sicht künftig alles dafür getan werden, dass die Rituelle-Gewalt-Theorie nicht Grundlage von Therapieansätzen ist.

Zur Erinnerung:

Die Region galt viele Jahre lang als Hochburg dieser verschwörungsgläubigen Szene. Die ehemalige Leiterin der Fachstelle Sekten- und Weltanschauungsfragen im Bistum Münster spielte zudem eine führende Rolle in einem ominösen „Arbeitskreis Rituelle Gewalt“ der Bistümer Essen, Osnabrück und Münster. Erst 2023 schloss das Bistum Münster eine einschlägig bekannte „Beratungsstelle Organisierte sexuelle und rituelle Gewalt“, nachdem Der Spiegel schwere Vorwürfe gegen eine Therapeutin erhoben hatte:

Auch die Arbeit der Beratungsstelle habe ihren Anteil daran, dass die Betroffenen sich immer tiefer in die Suche nach Erinnerungen verstrickt haben,

heißt es jetzt.

Der Untersuchungsbericht der Kanzlei Feigen · Graf kritisiert zu Beginn völlig zu Recht den Definitionswirrwarr um den Begriff „Rituelle Gewalt“ (Seite 14)

https://www.bistum-muenster.de/untersuchung_rituelle_gewalt

… und unterstreicht, dass es für RG-MC keinerlei Beweise gibt (Seite 17):

https://www.bistum-muenster.de/untersuchung_rituelle_gewalt

Auch die Doku „Blinder Fleck“ von Liz Wieskerstrauch trägt zu einer Klärung der Problematik nichts bei (Seite 35):

https://www.bistum-muenster.de/untersuchung_rituelle_gewalt

Interessant ist auch der Eindruck, den Sartorius/Kindhäuser von diversen Stars der „Satanic Panic“-Szene gewonnen haben (Seite 76):

https://www.bistum-muenster.de/untersuchung_rituelle_gewalt

Stimmt auffallend – wie uns auch die Staatsanwalt Gießen nach einer Anzeige gegen eine Youtuberin („Ich wurde gezwungen zu töten!“) mitteilte:

https://www.youtube.com/watch?v=dqiEM5hbTNo

Dafür stellten die Gutachter von Feigen · Graf in allen Fällen fest (Seite 76):

https://www.bistum-muenster.de/untersuchung_rituelle_gewalt

Konkret (Seite 92):

https://www.bistum-muenster.de/untersuchung_rituelle_gewalt

Und selbstverständlich hat man versucht, die Zeugenaussagen zu validieren, aber (Seite 94):

https://www.bistum-muenster.de/untersuchung_rituelle_gewalt

Wichtige Anmerkung: Es geht mitnichten darum, sich über die Betroffenen lustig zu machen oder sie der Lüge zu bezichtigen – sondern ihre Angaben kritisch zu überprüfen:

Diese Menschen glauben das, was sie berichten. Wir haben keine Veranlassung, ihnen unlautere Absichten zu unterstellen. Wir stellen uns unserer Verantwortung für diese Menschen und möchten versuchen, ihnen über professionelle Therapie-Angebote wirklich zu helfen,

heißt es in der Stellungnahme des Bistums.

Und das ist der entscheidende Punkt des Gutachtens (Seite 165):

https://www.bistum-muenster.de/untersuchung_rituelle_gewalt

Denn das werden die Hahns, Hubers, Wieskerstrauchs und Co. nie begreifen:

https://www.bistum-muenster.de/untersuchung_rituelle_gewalt

Die in diesen Therapien vertretene Rituelle-Gewalt-Theorie ist für die Kanzlei Feigen · Graf „eine nur scheinbare Erklärung, die den Betroffenen einen Ausweg aus Trauma und Hilflosigkeit vorspiegelt und ihre Lage aus unserer Sicht erheblich verschlimmert hat“.

Tragisch.

Zum Weiterlesen:

Titelfoto: Unsplash/Presley Carlton

Kommentare

9 Antworten zu „„Bloß eine Scheinerklärung“: Bistum Münster untersuchte ein Dutzend Fälle ritueller Gewalt“

  1. Vielen Dank für diesen ausführlichen Artikel …

    Bin gespannt, wie die Reaktionen nun von Seite der Befürworter ausfallen werden. Ich könnte mir vorstellen, dass auch ein wenig Druck auf die Kirche ausgeübt werden wird.

    Wie einzelne Medien ihre Artikel dazu benennen, sehe ich zwiegespalten. Auf der einen Seite empfinde ich Anerkennung für die kritische Selbstbetrachtung der Bistümer, auf der anderen Seite hat die Kirche ein Missbrauchsproblem fernab von Verschwörungstheorien. Titel wie „Untersuchung entlastet Bistümer“ finde ich da nicht unbedingt günstig.

    Ergänzend noch einige Links zu weiteren Artikeln. Wer eine Suchmaschine nutzt findet aber noch mehr.

    Vorwurf schwerer Straftaten
    Untersuchung: Keine Belege für rituelle Gewalt in Bistümern
    https://www.stern.de/gesellschaft/regional/niedersachsen-bremen/vorwurf-schwerer-straftaten–untersuchung–keine-belege-fuer-rituelle-gewalt-in-bistuemern-36118398.html

    (Bezahlschranke) Schwerste Vorwürfe
    Rituelle Gewalt: Kirche schließt sektenartige Täternetzwerke aus
    https://www.muensterschezeitung.de/lokales/rituelle-gewalt-kirche-untersuchung-bistum-3409163?pid=true&ueg=default

    Unbelegte Vorwürfe
    Untersuchung findet keine Beweise für Rituelle-Gewalt-Theorie – Kritik am Bistum Osnabrück
    https://www.noz.de/lokales/region-osnabrueck/artikel/bistum-osnabrueck-untersuchung-entkraeftet-rituelle-gewalt-theorie-49375105

    Studie über vermeintliche Täternetzwerke in der Kirche
    Gutachten widerlegt Vorwürfe ritueller Gewalttaten
    https://rp-online.de/kultur/studie-nennt-schwerste-gewalttaten-von-bischoefen-verschwoerungsnarrative_aid-136548275

    Bistümer präsentieren Bericht zu angeblichem Täternetzwerk in Kirche
    Keine Hinweise auf rituelle Gewalt
    https://www.domradio.de/artikel/bistuemer-praesentieren-bericht-zu-angeblichem-taeternetzwerk-kirche

  2. Kölner Stattanzeiger: Keine Belege für rituelle Gewalt, Untersuchung entlastet verstorbene katholische Geistliche von Vorwürfen  – Kritiker monieren Vorgehen (https://archive.ph/Qna3o)

    „Rixen moniert, dass die Gutachterinnen lediglich die Gesprächsvermerke der Anwälte beurteilt hätten. „Das ist unseriöse Aussagepsychologie nach dem Stille Post-Prinzip.““

    Verstehe ich nicht … ein Gutachten nach Aktenlage wäre tatsächlich anfechtbar, allerdings wurde laut Bericht persönlich mit den Betroffenen gesprochen „[…] auf eigenen Wunsch bei den Gesprächen durch eine auf Opferschutz spezialisierte Rechtsanwältin beraten und begleitet […]“. Somit ist es falsch was Rixen da von sich gibt. 

    „Seine große Befürchtung, so Rixen, sei, „dass der Bericht ein allgemeines Misstrauen gegenüber der Glaubwürdigkeit von Opfern und ihren Berichten schürt. Das wäre wirklich das Schlimmste.“

    War ja klar, dass sowas kommt. Was anderes hat man ja nicht. 

  3. Bernd Harder

    @Sebastian:

    „Das ist unseriöse Aussagepsychologie nach dem Stille Post-Prinzip.“

    Das ist gleich in mehrfacher Hinsicht Unsinn – z.B. wird auf Seite 87 unten ein Missbrauchsfall durchaus als glaubwürdig eingestuft.

    Für viele von uns hier dürfte vor allem die „III. Frau“ interesssant sein (Seite 114), die sich selbst als „außergewöhnlichen Fall“ bezeichnet, deren Berichte und Aussagen aber „weder plausibel noch glaubhaft“ sind.

    Und weiter:

    „Ihre Tätigkeiten zum Thema rituelle Gewalt und DIS bezeichnet sie als ihr einziges Hobby, wenn man es so nennen will.“

    Da ist wohl bald wieder ein Video zu erwarten.

  4. Carsten Ramsel

    @Sebastian

    Woher könnte denn der Druck auf das Bistum Münster kommen?

  5. Kann mir zwar denken, um wen es geht, allerdings gibt es mehrere, die unter Pseudonym ihre Biographien veröffentlichen und in sozialen Medien unterwegs sind. Das ist für mich vergleichbar mit den zig Leuten, die als Reinkarnation von Kleopatra erkannt werden.

    Möchte nicht wissen, in wie vielen Schilderungen die Wewelsburg als Tatort genannt wird …

    „Sie veröffentlicht unter Pseudonym. Gleichzeitig tritt sie selbst vor die Kamera, druckt […] Portraitfoto und steht als […] zur Verfügung. Dieses Verhalten ist bei einer akut bestehenden Lebensgefahr durch einen (insbesondere auf Vertuschung wert legenden*) Kult für uns nicht nachvollziehbar.“ (S. 124)

    Es fehlt der Hinweis, dass die Öffentlichkeit Schutz bietet … mir fehlen jetzt allerdings die Quellen, wo das überall gesagt wurde. Im Endeffekt würde sich das aber auch widersprechen. Menschen sind jedoch zu unlogischem Handeln fähig und komplett von sich überzeugt.

    Mich interessiert eher, ob WDRWestpol dazu nochmal Stellung beziehen wird. Der Artikel ist ja nun eher fragwürdig …

    https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/bistum-muenster-beratungsstelle-sexuelle-gewalt-100.html

  6. Schon ironisch, dass sie erst dann eingelenkt haben, als sie selbst beschuldigt worden sind.

    Als die Beratungsstelle 2023 geschlossen wurde, ging auch dies nur mit immensem Widerwillen der Verfechter der These.

    Wahrscheinlich hätten die Bistümer bis heute daran festgehalten, wenn sie keine Aufmerksamkeit von den Medien bekommen oder schlussendlich selbst das Opfer der von ihnen verbreiteten Verschwörungserzählungen geworden wären.

  7. Bernd Harder

    @Sebastian:

    Ich kann überinterpretieren, aber der WDR hat gestern auffallend widerwillig über das Gutachten berichtet:

    https://www1.wdr.de/nachrichten/westfalen-lippe/ritueller-missbrauch-kirche-muenster-100.html

    Die Kanzlei gibt den Menschen die Schuld dafür, bei denen die Betroffenen in Behandlung sind und waren, den Therapeutinnnen und Therapeuten. Sie sollen ihnen diese Scheinerinnerungen demnach eingeredet haben. Belege dafür gibt es nicht.

    Ah, „Schuldzuweisungen ohne Belege“ stehen also in dem Gutachten.

    Das lenkt natürlich schön von der eigenen damaligen Berichterstattung ohne Belege und mit Schuldzuweisungen an die Kritiker ab.

  8. @Carsten Ramsel

    Durch sowas zum Beispiel …

    https://www.katholisch.de/artikel/64947-missbrauchsbetroffene-kritisieren-studie-zu-ritueller-gewalt

    Betroffene und Hilfsverbände eventuell auch noch die UBSKM.

    Druck ist aber vermutlich zu viel gesagt. Gegenwind ist wohl der bessere Begriff.

  9. Bernd Harder

    Jetzt auch bei spiegel.de:

    Drei Bistümer ließen brutale Missbrauchsvorwürfe gegen Kardinäle und Bischöfe untersuchen. Das Ergebnis: Die Taten hat es nie gegeben. Vielmehr seien die Betroffenen Opfer eines Verschwörungsmythos geworden.

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