Homöopathie im Sinkflug – und die Frass-Studie vorm Rückzug?

(Lesedauer ca. 5 Minuten)

Der nächste Versuch:

Auch bei der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen Ende November in Hannover wird es einen Antrag geben, der sich gegen die „Erstattung homöopathischer Leistungen durch gesetzliche Krankenkassen“ und für eine „evidenzbasierte Gesundheitspolitik“ ausspricht.

Das berichtet der Spiegel:

https://kurzlinks.de/67kq

Homöopathie ist ein emotionales Thema, das seit vielen Jahren die Partei immer mal wieder bewegt, zum Teil mit äußerst aggressiven Beiträgen, wie vor fünf Jahren sogar ein Vorstandsbeschluss feststellte.

Im Kern geht es um die Wirksamkeit homöopathischer Mittel: Teile der Grünen fordern eine wissenschaftsbasierte (evidenzbasierte) Politik. Ihr Argument: Die Forschung findet keine nachweisbaren Effekte der Homöopathie, die über den bekannten Placeboeffekt hinausgehen. Aus diesem Grund wollen sie verhindern, dass die Kosten für homöopathische Mittel und Therapien weiterhin von Krankenkassen übernommen werden.

Ein anderer Teil vertritt die anthroposophische Linie, wonach nicht alle Krankheiten mit schulmedizinischen Mitteln zu behandeln seien.

Im aktuellen Homöopathie-Antrag schimmert dieser Konflikt wieder auf: Wer „alternative Methoden wie Homöopathie nutzen möchte, kann dies weiterhin privat tun“, heißt es. Die Mittel der gesetzlichen Krankenkassen müssten jedoch „evidenzbasiert und solidarisch verwendet werden.

Wenig überraschend weist der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) den „Anti-Homöopathie-Antrag“ zurück und fordert dazu auf, den Initiator:innen „Paroli zu bieten“ und einem Gegenantrag „Rückenwind zu geben“. Den gleichen Zirkus gab es schon bei der außerordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen im Januar. Damals war im Anschluss nichts mehr von dem Thema zu hören und zu lesen, auch nicht im Bundestagswahlprogramm 2025.

https://www.spektrum.de/news/homoeopathie-das-lukrative-geschaeft-mit-globulis-und-alternativmedizin/2293687

Bei spektrum.de analysiert Dr. Henrik Müller den Homöopathie-Markt in Deutschland (der Artikel ist in ähnlicher Form auch im Laborjournal erschienen).

  • Erfreulich:

Auffällig ist der abnehmende Trend: Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für homöopathische Leistungen sanken von 46,4 Millionen Euro im Jahr 2017 auf 8,7 Millionen Euro 2023.

Während Apotheken vor 2017 noch rund 54 Millionen Packungen Homöopathika verkauften, waren es 2024 zehn Millionen Packungen weniger. Auch verschreiben Ärzte immer weniger homöopathische Produkte.

Auch die Zahl der Nutzer geht zurück. Bekamen 2017 noch etwa 2,3 Prozent aller gesetzlich Krankenversicherten homöopathische Leistungen bezahlt, waren es 2023 nur noch etwa 0,2 Prozent, also annährend 165.000 Personen.

Die Homöopathie verliert also im Gesundheitssystem an Bedeutung, bleibt im privaten Bereich allerdings ein lukratives Geschäft.

Die Zusatzqualifikation Homöopathie kann inzwischen nur noch in Rheinland-Pfalz und Sachsen erworben werden. Seit 2019 haben 15 von 17 Landesärztekammern sie nach und nach aus ihren ärztlichen Weiterbildungsordnungen gestrichen.

  • Weniger erfreulich:

Im aktuellen Koalitionsvertrag wird Homöopathie nicht erwähnt. Anfang 2024 hatte der damalige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach noch angekündigt, Homöopathie komplett aus dem kassenärztlichen Leistungskatalog streichen zu wollen.

Doch politisch umgesetzt ist das bislang nicht – nicht zuletzt, weil die Homöopathika-Industrie ein erheblicher Wirtschaftsfaktor ist.

Henrik Müller hatte im April auch über die Kritik an der Skandal-„Studie“ zum „Überleben von Lungenkrebspatienten mit homöopathischer Komplementärbehandlung“ (Frass et al. 2020) berichtet:

https://www.laborjournal.de/rubric/hintergrund/hg/hg_25_04_02.php

Zur Erinnerung:

Eine eingehende Analyse durch eine deutsch-österreichische Arbeitsgruppe erbrachte zahlreiche Hinweise, dass die Daten manipuliert und verfälscht worden sein könnten.

Trotzdem weigerte sich das renommierte Fachjournal The Oncologist, die Studie zurückzuziehen. Müller schrieb damals:

Die entscheidende Frage lautet:

Warum scheuen sich seriöse Fachjournale, Fehler im Peer-Review-Verfahren einzugestehen und riskieren damit nicht nur ihre eigene Reputation, sondern die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft insgesamt? Was muss noch geschehen, damit eine fehlerhafte Publikation zurückgezogen wird?

Frass‘ Fehlverhalten verbleibt somit trotz Correction unkommentiert in der Literatur. Einmal mehr versagt ein Fachjournal in seiner Funktion als Hüter wissenschaftlicher Integrität.

Jetzt erscheint allerdings auf der Webseite der Ärztegesellschaft für Klassische Homöopathie diese Passage:

https://kurzlinks.de/0jfh

Im Oktober 2025 kam es neuerlich zu einem Angriff auf die Studie mit den aus homöopathischer Sicht absurden Argumenten, dass Michael Frass die Dosierung und Potenz während der Behandlung der Studienpatienten geändert habe und dass er in seiner Praxis dieselben Arzneien wie in der Studie verwendet habe (conflict of interest).

Leider führten diese Argumente nun dazu, dass die Studie doch zurückgezogen wurde.

Michael Frass selbst und viele Unterstützer (auch die ÄKH) haben Protestbriefe an die Herausgeber gesandt. Die nächsten Monate werden zeigen, wie The Oncologist darauf reagieren wird.

Beim Oncologist selbst ist noch kein Hinweis darauf zu finden, auch nicht bei Retraction Watch.

Dafür ist mal wieder eine Studie von Harald Walach zurückgezogen worden, diesmal vom Journal of Clinical Epidemiology:

https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0895435624004141

Immerhin.

Zum Weiterlesen:

Titelfoto: Wikipedia/Wikidudeman

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