Warnung vor kultartigen Online-Gemeinschaften: „Digitaler Todeskult für Sadisten“

(Lesedauer ca. 6 Minuten)

Als Samuel Hervey sich suizidierte*, sahen mehr als zwei Dutzend Menschen zu. Der 25-jährige Amerikaner aus der US-Kleinstadt International Falls hatte seine Handy-Kamera so positioniert, dass jedes Detail in einen Gruppen-Videochat übertragen wurde.

Die Teilnehmenden waren nicht entsetzt – im Gegenteil:

Sie jubeln, sie feixen, sie johlen,

berichtete Der Spiegel im Dezember.

https://www.spiegel.de/netzwelt/web/gewalt-in-digitalen-plattformen-die-chatgruppen-die-menschen-in-den-tod-treiben-a-b373c7ef-52e5-4984-a903-9d6d96bc12b7

Die Gruppe feierte Herveys Tod als Erfolg, die Szene, in der sie sich bewegen, nennt sich „Com“ oder „Community“ und ist ein „digitaler Todeskult für Sadisten“:

Die Mitglieder versuchen auf perfide Weise, Minderjährige und junge Menschen so zu manipulieren, dass sie ihre Haustiere umbringen oder sich selbst vor der Kamera erniedrigen.

Besonders viel Anerkennung bekommen die Täter in der Szene, wenn Opfer sich den Usernamen des Täters auf ihren nackten Körper ritzen. Gezielt suchen diese User psychisch labile Menschen, oft sind es Minderjährige.

Manchen gilt es als das ultimative Ziel, ihre Opfer in den Suizid zu treiben, am besten live gestreamt im Netz.

Die österreichische Bundesstelle für Sektenfragen hat jetzt auf eine Warnung von Europol aufmerksam gemacht, in der es genau um solche gewaltorientierten Online-Communities geht. Eine Vielzahl von
Gruppen nutze digitale Plattformen gezielt, um „extreme Grausamkeit zu normalisieren, Opfer zu erpressen und Einzelpersonen bis in den Suizid zu treiben“.

https://bundesstelle-sektenfragen.at/

Wir veröffentlichen die Aussendung im Wortlaut:

Wie in dem an die Warnung angehängten Bericht festgestellt wird, rekrutieren die agierenden Gruppierungen sowohl Täterinnen und Täter als auch Opfer weltweit und operieren in sektenähnlichen Strukturen, die sich um charismatische Führungspersonen gruppieren.

Anhängerinnen und Anhänger werden durch gezielte Manipulation und Täuschung rekrutiert und so an die Gruppe gebunden. Die Täterinnen beziehungsweise Täter nutzen dabei Online-Gaming-Plattformen, Streaming-Dienste und Social-Media-Kanäle, um potenzielle Opfer zu identifizieren und anzulocken.

Insbesondere vulnerable Jugendliche werden gezielt adressiert, wobei Minderjährige im Alter von 8 bis 17 Jahren – vor allem LGBTIQ+-Personen, Angehörige ethnischer Minderheiten und Personen mit psychischen Problemen – im Mittelpunkt stehen.

In einigen Fällen verschaffen sich die Täterinnen und Täter Zugang zu Online-Selbsthilfe- oder Unterstützungsgruppen, die sich mit den jeweiligen Problemen der Kinder und Jugendlichen befassen.

https://www.europol.europa.eu/publications-events/publications/rise-of-online-cult-communities-dedicated-to-extremely-violent-child-abuse

Auch wenn bislang keine Informationen darüber vorliegen, inwiefern diese Entwicklungen bereits Österreich erreicht haben, warnt die Bundesstelle für Sektenfragen eindringlich davor, dass sich solche globalen Trends auch hierzulande etablieren könnten.

Deutsche Behörden sind bereits mit dieser Thematik befasst, was die Bedeutung intensiver Präventions- und Aufklärungsarbeit verdeutlicht.

Alle relevanten Akteurinnen und Akteure, von Behörden über Bildungseinrichtungen bis hin zu Eltern und in der Jugendarbeit tätigen Personen, sollten daher besonders wachsam sein und das Gefährdungspotenzial dieser Gemeinschaften ernst nehmen.

Europol spricht Empfehlungen aus, worauf in diesem Zusammenhang geachtet werden sollte.

Achten Sie bei Ihren Kindern auf folgende Verhaltensweisen:

  •  Geheimhaltung von Online-Aktivitäten
  • Rückzug und Isolation
  • Emotionale Belastung
  • Interesse an schädlichen Inhalten
  • Veränderungen in der Sprache oder den verwendeten Symbolen
  • Verbergen körperlicher Anzeichen von Verletzungen

Achten Sie auf diese Anzeichen im Online-Verhalten Ihrer Kinder:

  • Ungewöhnliche Aktivitäten auf Plattformen
  • Interaktion mit unbekannten Kontakten
  • Verschlüsselte Kommunikation
  • Kontakt mit verstörenden Inhalten

[Anmerkung der Skeptix-Redaktion: Diese Empfehlungen sind recht vage und verallgemeinernd. Auch ohne in potenziell schädigende Kulte involviert zu sein, können junge Menschen ihren Eltern Dinge verheimlichen, mit emotionalen Herausforderungen kämpfen oder Interesse an morbiden Inhalten entwickeln.

Dies sind relativ alltägliche Begleiterscheinungen einer gewöhnlichen Adoleszenz. In diesem Zusammenhang ist der Hinweis von Europol, Eltern und Betreuende müssten „ermutigt werden, wachsam zu sein, auf die Anzeichen zu achten und Strafvervolgungsbehörden zu informieren“, aus unserer Sicht etwas zu alarmistisch ausgefallen.

Es ist sicher sinnvoll, wenn Eltern und Pädagog:innen über die Risiken von sektenartigen Online-Communities informiert sind und ggfs. auch Jugendliche darüber aufklären. In Panik zu verfallen, weil Teenager ihre Sprache verändern oder (aus Elternsicht) ungewöhnlichen Aktivitäten nachgehen, wird in den meisten Fällen inadäquat sein.]

Was die „charismatischen Führungspersonen“ dieser Szene angeht, vermeldete Europol im Februar die Festnahme zweier Mitglieder einer Online-Gruppe namens „CVLT“, die Minderjährige auf der ganzen Welt zur Produktion von entmenschlichendem Foto- und Videomaterial nötigt.

In den USA wurde ein 23-Jähriger verhaftet, der einer der extremsten Gruppierungen von „Com“ mit der Bezeichnung „764“ angehören soll.

https://www.ic3.gov/PSA/2025/PSA250306

Anfang dieses Monats gab das FBI eine Warnung vor „764“ und anderen Netzwerken heraus:

Sie nutzen Drohungen, Erpressung und Manipulation, um Opfer dazu zu zwingen, Live-Videos von Selbstverletzungen, Tierquälerei, sexuell expliziten Handlungen und/oder Suizid zu produzieren, zu teilen oder zu streamen. Die Aufnahmen werden dann von den Mitgliedern des Netzwerks verbreitet, um die Opfer weiterhin zu erpressen und Kontrolle über sie auszuüben.

Der Spiegel schreibt auch von deutschen Szene-Größen, die sich „White Tiger“ oder „Tobbz“ nennen. Ermittlungen laufen, eine Anklage sei bisher nicht erhoben worden.

Der Gründer von „764“, Bradley Cadenhead, ist 2023 zu 80 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Er ist 19 Jahre alt.

Quellen:

Titelfoto: Freepik/pvproductions

*Wenn Sie selbst belastet sind, wenn Sie Suizid-Gedanken plagen, dann kontaktieren Sie bitte die Telefonseelsorge im Internet oder über die kostenlosen Hotlines 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222.

Kommentare

Eine Antwort zu „Warnung vor kultartigen Online-Gemeinschaften: „Digitaler Todeskult für Sadisten““

  1. Sebastian

    Teilweise habe ich echt das Gefühl wir haben ein gesellschaftliches Problem, wo Empathie immer mehr zur Selbstschädigung führt.

    Soziopathen werden in solchen Gruppen vermutlich die größte Anerkennung erhalten.

    Lässt mich wirklich ein wenig sprachlos zurück, wie abartig das Verhalten von Menschen sein kann.

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