Corona zwischen Aufarbeitung und Verschwörungstheorie

(Lesedauer ca. 6 Minuten)

Die letzte Staffel des NDR-Podcasts Coronavirus-Update ist zu Ende. Die zehn Folgen im Einzelnen:

https://www.ardaudiothek.de/sendung/das-coronavirus-update-von-ndr-info/72451786/

Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) hat die Bücher

Alles überstanden? Ein überfälliges Gespräch zu einer Pandemie, die nicht die letzte gewesen sein wird

von Christian Drosten und Georg Mascolo (Ullstein, 24,99 €)

und

Nicht systemrelevant: Eine Aufarbeitung der Corona-Politik aus kinderethischer Sicht

von Christoph Schickhardt (Suhrkamp, 18 €)

als Sonderausgabe für 5 Euro herausgebracht. Hier geht es zum Shop.

Zur Frage einer „Corona-Aufarbeitung“ schreibt die Politikwissenschaftlerin Antje Schrupp in den Blättern für deutsche und internationale Politik:

Im Prinzip sind die meisten Debatten, die derzeit über eine Aufarbeitung der Coronapandemie geführt werden, lediglich eine Fortführung der polarisierten Standpunkte, die schon während der Pandemie sachliche Debatten erschwert haben.

Das gilt wohl auch für die Recherchen von Süddeutscher Zeitung und Zeit, die einen Laborunfall im chinesischen Wuhan als Ursache der Corona-Pandemie nahelegen.

Dazu twitterte der Journalist und Verschwörungsexperte Christian Schiffer:

https://x.com/Wurzelbier/status/1899772627859746954

Zur Erinnerung:

Der Hamburger Physikprofessor Roland Wiesendanger wurde 2021 im Wesentlichen nicht für seine Laborthese hart angegangen, sondern weil seine „Studie“ weder eine Forschungsfrage noch eine professionelle Methodik erkennen ließ:

Zu den Quellen gehören unter anderem Youtoube-Videos, Artikel von Focus Online oder Epoch Times,

merkten die Science Cops an. Auch Übermedien verzweifelte an der „wüsten Materialsammlung“. Die Coronavirus Structural Task Force der Uni Hamburg erklärte:

Leider ist diese Studie gar keine, sondern eine reichlich verworrene Medienrecherche.

Und Wiesendangers Hamburger Kollegin Prof. Juliane Lischka kritisierte, dass hier

… eine Meinung als wissenschaftliche Studie deklariert und für die Verbreitung dieser Meinung die Legitimität der Universität und des Professors ausgenutzt wird.

Richtig ist allerdings, dass 27 internationale Virologen und Infektionsforscher (darunter Christian Drosten) am 7. März 2020 in dem renommierten Fachjournal The Lancet Mutmaßungen über einen Laborunfall in die Nähe einer „Conspiracy theory“ gerückt hatten. Dieser kurze Aufsatz war indes ebenfalls keine Studie, sondern die Autoren „wollten ihr Statement als Solidaritätserklärung an chinesische Forscher und Mediziner verstanden wissen, die damals an vorderster Front im Kampf gegen das Virus standen“.

Im Grunde belagerten sich auch bei diesem Thema die „simplen Analysen und starken Meinungen“, die Antje Schrupp heute beanstandet.

Wo die Abwehr der Laborthese „übereilt, übertrieben scharf und eindeutig geschah“, sollte im Nachhinein natürlich analysiert werden, schreibt der Spiegel-Redakteur Jonas Schaible auf seinem privaten Substack-Account:

Dennoch sei es wichtig, festzuhalten:

Die Anhänger der Laborthese hatten nicht recht. Wir wissen nach wie vor nicht, ob das Virus aus dem Labor kam. Und selbst wenn wir heute zeigen könnten, dass es so war, hätten sie nicht recht gehabt – weil wir es damals weder wussten noch wissen konnten.

Wer damals behauptete, es zu wissen, war kein Hellseher, sondern ein Scharlatan, der zufällig richtig lag.

Damit schließt Schaible explizit auch Roland Wiesendanger ein beziehungsweise „jene vorgebliche Studie, die seinerzeit offiziell von der Pressestelle der Uni Hamburg verbreitet wurde, die mich so entsetzt hat, dass ich diesen Twitter-Thread absetzte“:

https://x.com/beimwort/status/1362413959874301960

Am Ende kann der Spiegel-Hauptstadtredakteur dem Vorschlag seines Zeit-Kollegen Cornelius Pollmer etwas abgewinnen, der – sagen wir mal: halbsatirisch – eine „siebenstündige Fernsehsendung, moderiert von Johannes B. Kerner“, mit dem Titel „Die long Covid-Show“ ins Spiel bringt:

Bei Kerner sollen gewordene Mütter und Väter erzählen, wie es war, nicht gemeinsam im Kreißsaal sein zu dürfen, als Licht in die Welt kam.

Erzählen sollen Menschen, die sich auf Arbeit oder in Medien stigmatisiert fühlten, weil sie sich nicht impfen lassen wollten, ohne anderen übrigens verbieten zu wollen, dies ihrerseits zu tun.

Erzählen sollen ehemalige Freizeitsportler oder Vollzeitberufstätige, die beides ohne Covid noch wären.

Erzählen sollen Studierende, deren ausgefallene Abifahrt und deren ausgefallenes Knutschen auf Erstsemesterpartys nie jemand wird adäquat ersetzen können.

Außerdem noch die komplette Ministerpräsidentenkonferenz, Leute vom „Team Freiheit“ und solche vom „Team Vorsicht“ sowie Jens Spahn und Andrea Tandler, die um die Wette Stoffmasken aus alten Unterbüxen nähen.

Und viele, viele mehr.

Aber eigentlich braucht man nur in die Kommentare unter dem Zeit-Artikel zu schauen: „Gar nicht schlecht“ oder „Oh mein Gott, was ist das denn?“ – dazwischen scheint es nichts zu geben.

Nochmal Antje Schrupp:

Unterm Strich wird eine neutrale und sachbezogene Auswertung des staatlichen Umgangs mit der Coronapandemie wohl eine Aufgabe für künftige Historiker:innen sein.

Quellen:

Titelfoto: Freepik/prostooleh

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