von Skeptix-Mitglied Luna
Auf Gesundheitsmessen findet man vieles: Heilsteine, Tinkturen, Schwingungsgeräte – und immer häufiger: sogenannte kolloidale Metalle.
Besonders hoch im Kurs steht derzeit Germanium1. Ein Metall, das laut seinen Befürwortern unglaubliche Wirkungen haben soll – gegen Tinnitus, Krebs, (Corona-)Impfschäden und chronische Müdigkeit. Klingt zu gut, um wahr zu sein? Genau das ist das Problem.
Ich habe einen Vortrag auf einer Esoterikmesse zu diesem Thema besucht. Und was ich dort gehört habe, war weniger Medizin als Magie – allerdings mit ernstzunehmenden Risiken.
Erfahrungsberichte statt Evidenz
Der Vortragende, ein älterer Herr mit Elektro-Ingenieurs-Hintergrund, präsentierte seine selbst entwickelte Germanium-Kur. Was auffiel: Nicht ein einziger klinischer Beleg, keine Studie, keine messbaren Ergebnisse – nur persönliche Geschichten, angereichert mit Dog Whistles2 der „alternativen, un-gebratwursteten Gesundheitsszene“.
Er erzählte von einer 84-jährigen Frau, die nach einer Germanium-Behandlung wieder Tennis spielen konnte. Und von sich selbst: Nach der Operation eines Tumors im Kopf habe er mehrere Liter kolloidales3 Gold, Silber und Germanium eingenommen – und sich sogar Tropfen davon in die Augen geträufelt. Am nächsten Tag sei er zum Erstaunen der Ärzte vollständig geheilt gewesen. Der Silberblick, der noch Wochen anhalten sollte, war restlos behoben.
Belege? Fehlanzeige. Das Publikum sollte nicht überzeugt, sondern emotional mitgerissen werden. Die Botschaft: „Ich habe es erlebt – also ist es wahr.“ und: „Ich nehme es selbst ein, also ist es nicht schädlich oder gefährlich.“
Emotionale Manipulation statt Aufklärung
Die Präsentation folgte einem bekannten Muster: Erst wird Vertrauen durch persönliche Betroffenheit aufgebaut, dann folgt ein Angriff auf die ‘böse’ Schulmedizin, schließlich zig selbsterlebte dramatische Heilerfolge. Betont wurde einleitend, dass „altes Wissen“ von einem Freimaurer quasi geheim gehalten wurde und nur durch Zufall und mutige „Querdenker“ wieder der Allgemeinheit zugänglich gemacht wurde.
Wissenschaftlich absurd wurde es spätestens bei Aussagen wie: Germanium könne Impfstoffe „ausleiten“ oder den Sauerstofftransport in die Zellen „vervielfachen“ – vor allem, wenn es an bestimmten Fußpunkten (TCM4 lässt grüßen) aufgetragen wird; hätte man das doch nur bei Corona-Erkrankten getan – was besonders bösartig ist, aber in der Szene der „Kritischen Denker“ Usus, um Medizin und Wissenschaft zu diffamieren.
Prüfmethoden wie Dunkelfeldmikroskopie und Tensor sollten dabei nicht nur die Wahl des richtigen Mittels aus dem Portfolio, sondern auch die Wirksamkeit bestätigen – beides Verfahren, die in der evidenzbasierten Medizin (zu Recht) keinerlei Anerkennung haben. Was sagen schon Blutbilder und medizinische Untersuchungen aus, wenn ein simples Armdrücken den Mangel „besser bestätigen“ kann?
Der wissenschaftliche Diskurs wurde ersetzt durch Zahlenschwurbelei, Verschwörungsmythen und pseudophysikalisches Vokabular. Die „vierfache positive Ladung“ des Produkts sollte angeblich belegen, dass es viermal besser sei als andere Mittel. Wie man das misst? Keine Erklärung. (persönliche Anmerkung: in einem anderen Vortrag eines anderen Referenten-Duos fand man „Bovis-Einheiten“5 aussagekräftig und konnte doch nicht erklären, was diese „Bovis-Einheiten“ seien)
Germanium – nicht harmlos, sondern potenziell gefährlich
Das wirklich Erschreckende: Germanium ist kein harmloses Hausmittel. Die medizinische Forschung dokumentiert schwerwiegende gesundheitliche Risiken bei dauerhafter Anwendung – insbesondere für die Nieren. Es kann zu irreversiblen Schäden führen, bis hin zum Nierenversagen. Zahlreiche Fälle sind bereits dokumentiert.
Deshalb ist die Substanz in der EU auch nicht als Nahrungsergänzungsmittel oder Arznei zugelassen. Selbst der Vortragende hatte sicherheitshalber einen entsprechenden Hinweis fett auf seinem Flyer gedruckt und meinte immer wieder, dass er ja „leider keine Heilsversprechen abgeben dürfe“, um sich abzusichern.
Nur: Das hinderte ihn nicht daran, es in verschiedenen Formen – Creme, Tropfen, Balsam – gegen alles Mögliche zu empfehlen.
Das Problem ist größer als ein Vortrag
Dieser Vortrag war kein Einzelfall. Vielmehr ist er Symptom einer meiner Meinung nach besonders seit Corona wachsenden Szene, in der persönliche „Erfahrungen“ zur neuen Wahrheit erklärt werden – und Wissenschaft als feindliches System dargestellt wird. Wer skeptisch fragt, gilt schnell als „Systemhöriger“. Wer Studien einfordert, wird auf Google verwiesen oder mit Anekdoten abgespeist.
Dabei geht es längst nicht mehr nur um (vermeintlich) harmlose Mittelchen wie Homöopathie, irgendwelche Druck- und Klopfpunkte oder um Super-Klebepflaster6. Es geht um das gezielte Ausnutzen von Ängsten, Unsicherheiten und Krankheiten – durch Heilsversprechen ohne Verantwortung.
Diese wird (wie auch in z.B. der GNM7) bequem auf den Patienten geschoben, der einfach nicht genug an seine Heilung geglaubt hat. Oder um potentiell gefährliche Präparate wie „Schwarze Salbe“8, CDL9 oder MMS10, die dank fehlender Gebrauchsanleitungen und Zulassungen nach eigenem Gutdünken eingenommen werden.
Fazit: Hoffnung ist keine Therapie
Die Geschichte mit der 84-jährigen Tennisspielerin klingt schön. Die Realität sieht allerdings anders aus: Germanium ist weder bewiesen hilfreich noch risikofrei. Und eine gute Geschichte ersetzt keine Studien, keine geprüfte Dosierung, keine verantwortungsvolle Therapie.
Wer krank ist, verdient mehr als nur ein „Vertrau mir, Bro“. Er verdient eine Behandlung, die wirkt – und nicht schadet.
Über die Autorin: Luna, PTA mit Leidenschaft für Aufklärung rund um evidenzbasierte Medizin. In ihrer Freizeit besucht sie gern Esoterik- und Gesundheitsmessen – mit kritischem Blick.
Glossar und Quellen:
2 Bratwurstzeit, gebratwurstet und ähnliche Worte = so genannte „Dog whistles” (also eine Art Geheimsprache) für Impfungen, geimpft sein usw. Gerne von Schwurblern und Impfgegnern verwendet, weil es „zur Covid-Impfung eine gratis Bratwurst gegeben hätte“
3 Kolloid = angeblich atomare geladene Metalle in einer wässrigen Lösung, nach Eigendefinition der Hersteller von solchen Substanzen: „Kolloide Metalle sind ultrakleine Nanopartikel, die im Reinstwasser in Schwebe vorhanden sind, ohne dass diese mit dem Wasser eine Verbindung eingehen. Die Größe der Nanoteilchen ist kleiner als 10 nm (Nanometer). (…) Viele metallische Mineralien sind essentiell. Durch sie werden Vitamine, Enzyme und Hormone hergestellt. Positive elektrisch aufgeladene kolloidale Metalle werden folglich im Organismus nicht als Fremdkörper betrachtet.
4 TCM = Traditionelle Chinesische Medizin; Vortrag zu der Medizin war z.B. hier.
5 Bovis = Bovis-Einheit In Bovis-Einheiten wird in der Radiästhesie die Stärke einer Lebens- oder feinstofflichen Energie angegeben. Die Bovis-Einheit ist keine physikalische Einheit, stattdessen ist diese rein intuitiv und abhängig vom Wünschelrutengänger. Sie ist nicht falsifizierbar, es existiert auch kein Messgerät. (Quelle: Wikipedia)
6 Super-Klebepflaster: SUPER PATCH live ENTLARVT! Pflaster für Leichtgläubige | Podcast #100 | Quarks Science Cops
Super Patches: Pflaster gegen Schmerzen, Schlafprobleme, Stress? 🩹🤔 | Echt? WDR
7 GNM: Germanische Neue Medizin: Als Caro den Schmerz ertragen musste | BR24
8 Schwarze Salbe: Zinkchlorid – Wikipedia
9 CDL: Warnung vor Chlordioxid bzw. MMS, CDL/CDS – BASG
10 MMS: Miracle Mineral Supplement (MMS): Erhebliche Gesundheitsgefahr | Verbraucherzentrale.de
Titelfoto: Freepik
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