In memoriam: Joe Nickell, ein „Paranormal Investigator“ in a very real, very natural world

(Lesedauer ca. 6 Minuten)

Eine Marienstatue, die Lebenszeichen zeigt, insbesondere einen vernehmbaren Herzschlag – was fängt man mit so einer Behauptung an?

Alles Unsinn? Oder hinfahren und nachschauen?

Joe Nickell entschied sich für Letzteres. Das war Ende der 1980er, im Zusammenhang mit den Marienerscheinungen von Conyers im US-Bundesstaat Georgia. Mit einem simplen diagnostischen Instrument rückte er dem Phänomen zu Leibe.

Sein lapidares Fazit:

I found that there were no heartbeats detectable by stethoscope.

Möglicherweise hatten die Zeugen des vermeintlichen Wunders ihre Hand auf die Statue gepresst und dabei ihren eigenen Daumenpuls gespürt.

https://www.msn.com/de-de/unterhaltung/news/joe-nickell-die-wahrheit-hinter-paranormalen-r%C3%A4tseln/vi-AA1ucIO8

Der studierte Kunsthistoriker Joe Nickell sah sich selbst als „Paranormal Investigator“ – nicht als Debunker:

Ich mag keine Debunker und keine Ablehner,

erklärte Nickell im MonsterTalk-Podcast:

Solche Zweifler, die nur sagen: „Alles Humbug, alles Quatsch, die Leute waren wohl betrunken oder sie lügen.“

Ich denke, dass wir das nicht tun sollten. Wenn ich zum Beispiel Vampire studiere, muss ich nicht glauben, dass sie existieren, um über die Historie, die Kultur- und Literaturgeschichte zu sprechen.

Es gibt viele Aspekte bei solchen Themen, die einer wissenschaftlichen Diskussion würdig sind.

Das hieß indes nicht, dass er einen offenkundigen Schwindel nicht auch klar als solchen benannte – etwa den „Amityville Hoax“ um das weltbekannte Horrorhaus auf Long Island:

https://skepticalinquirer.org/2003/01/amityville-the-horror-of-it-all/

Allerdings erst nach eingehender Vor-Ort-Untersuchung.

Eine angeblich von bösen Geistern malträtierte Tür wies noch die Original-Lackierung und keinerlei Spuren einer Reparatur auf. Erkundigungen bei der lokalen Polizeidienststelle ergaben, dass keiner der Beamten je von Familie Lutz zu Hilfe gerufen worden war – wie in dem Buch von Jay Anson behauptet wird.

Weder die Nachbarn noch die übrigen Anwohner der Ocean Avenue oder die Vor- und Nachmieter der Lutzes hatten je etwas von dämonischen Manifestationen mitbekommen. Der Ortspfarrer Rev. Ralph J. Pecoraro, der bei einem Besuch der Spuk-geplagten Familie angeblich unerklärliche Wunden und Brandblasen an den Händen davontrug, betrat nach eigener Aussage nie das Haus.

Auch mysteriöse klauenartige Fußabdrücke im verschneiten Garten kann es nicht gegeben haben. Wie Nickell recherchierte, herrschten an diesem Tag milde Witterungsverhältnisse ohne Schneefall auf Long Island vor.

https://www.youtube.com/watch?v=4CJtj4ziZT4

Genau so erforschte er auch das alte „Conjuring“-Farmhaus in Harrisville in Rhode Island. Auch dort stieß er nur auf die „machtvollen Dämonen“ namens Aberglaube, Ignoranz und Gier – angestachelt von dem umtriebigen Dämonologen-Pärchen Ed und Lorraine Warren.

Trotz seiner Abneigung, die sich vor allem gegen Lorraine richtete, formulierte Nickell seine Urteile zumeist verbindlich, wie etwa:

  • Es gelang ihr [Lorraine Warren] nicht, den Amityville-Fall als das zu erkennen, was er wirklich war, nämlich ein vorsätzlicher Schwindel.“
  • Sie zeigte überall Anzeichen einer sehr phantasiebegabten Persönlichkeit.“
  • Das Paar machte praktisch ein Geschäft aus der Geisterjägerei, manche würden auch sagen Abzocke und Spektakel.“

Zwischen „mystery-mongerers“ wie Ed und Lorraine Warren auf der einen Seite und „so-called debunkers on the other“ trat Nickell als „the world’s only full-time, salaried professional paranormal investigator“ auf. Nach einem bewegten Leben als

… stage magician, carnival pitchman, private detective, blackjack dealer, riverboat manager, university instructor, author und mehr

wurde er 1995 zum „Senior Research Fellow“ der amerikanischen Skeptikerorganisation CSICOP (heute CSI) ernannt. Davor und danach erwarb er sich Titulierungen wie „the modern Sherlock Holmes“ oder „real-life Scully“:

He uses his experiences as a stage magician and private detective to expose paranormal forgeries and hoaxes,

würdigte ihn 2017 die Daily Mail.

https://www.youtube.com/watch?v=o92V9JEzbIU

Obwohl Nickell nach Eigenaussage an „mehr umspukten Orten gewesen ist als Casper, der Geist“, fand er nie welche:

Wenn man an Geister glauben muss, um sie zu sehen, sind sie vielleicht doch nur ein Produkt von starkem Wunschdenken.

Auch in Deutschland nicht, wo er 2002 den Teufelstritt in der Münchner Frauenkirche, den Hühnermensch von Waldenburg und andere Mysterien besah, nach seiner Devise:

Begeben Sie sich an den Ort des Geschehens, um eine Behauptung zu überprüfen.

Kaum verwunderlich, dass seine Investigative Files-Kolumne im Skeptical Inquirer sich liest wie eine Weltreise und auch Neuseeland und China einschließt.

Joe Nickell starb vergangene Woche im Alter von 80 Jahren – „an icon and hero within the skeptical community“, schreibt das CSI in einem Nachruf.

https://www.joenickell.com/

Der Autor dieses Textes wird seinen „Wooden Nickel“ vom „magician-turned-paranormal investigator“ persönlich stets in Ehren halten.

Nur die Hauptrolle in dem Hollywood-Streifen „The Reaping – Die Boten der Apokalypse“ (2007) blieb Nickell versagt – wofür er allerdings volles Verständnis zeigte:

If you were a movie mogul filming a supernatural thriller, would you rather have Hilary Swank play a Joe Nickell type, or Joe Nickell play himself?

Okay, you’re right: Hollywood chose the former – sort of.

Vielleicht war das auch besser so, denn sonderlich gut weg kam „The Reaping“ bei den Kritikern nicht gerade.

Joe Nickell war’s egal, denn nach „interessanten Erfahrungen“ bei der Vorbereitung und den Dreharbeiten zu dem religiös angehauchten Horrorstreifen kehrte er einfach wieder in seinen Job zurück. Wo er trotz all der „falschen Erscheinungen, weinenden Statuen, betrügerischen Stigmatikern und vorgetäuschten Heilungen“ um ihn herum am Ende immer nur dasselbe fand:

A very real, very natural world.

Quellen:

Titelfoto: Wikipedia Commons/Cryotank

Kommentare

2 Antworten zu „In memoriam: Joe Nickell, ein „Paranormal Investigator“ in a very real, very natural world“

  1. Alexandra

    Ein sehr schöner Nachruf. 👍

    Besonders gefällt mir sein Zitat. „Wenn man an Geister glauben muss, um sie zu sehen, sind sie vielleicht doch nur ein Produkt von starkem Wunschdenken.“

  2. Bernd Harder

    Zu den Warrens auch Lydia Benecke:

    https://www.youtube.com/watch?v=a_G8WyRUWVQ

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