Die unheimliche Begegnung der sowjetischen Art geschah in Woronesch, 500 Kilometer vor Moskau, an einem warmen Abend des 27. September gegen 18.30 Uhr, so der TASS-Reporter Wladimir Lebedev.
„Eine Luke öffnete sich, der eins zwei oder drei menschenähnliche Wesen und ein kleiner Roboter entstiegen. Diese „drei oder gar vier Meter“ großen Wesen hätten „sehr kleine Köpfe“ gehabt. Nach einem „kurzen Spaziergang“ seien sie wieder in ihrem Raumschiff verschwunden.
So berichtete die Münchner Abendzeitung am 12. Oktober 1989 über den „Voronezh UFO incident“.

Nich nur der CENAP-Report von Werner Walter würdigte den Vorfall auf vielen Seiten. Auch große Medien wie der Spiegel staunten über die „neue Berichterstatter-Freiheit“ der Ära von Glasnost und Perestrojka – allerdings nicht ohne Augenzwinkern:
Irgend etwas müsste auch mal in Woronesch passieren – da doch im mächtigen Moskau mitten auf dem Roten Platz ein Flugzeug gelandet ist, an der Wolga jüngst ein Schneemensch auftauchte, im sibirischen See Labynkyr ein Ungeheuer rumort.
Und am Ural, nicht weit von der Stadt mit dem seltsamen Namen Ufa, ist im Sommer, traut man dem Wirtschaftsfachblatt Sozialistitscheskaja industrija, der Melkerin Ljubow Medwedewa ein Kerl von einem anderen Stern nahegekommen, größer als ein Mensch, mit kleineren Füßen und, anders als kosmische Erscheinungen im Westen, mit besonders kleinem Kopf – was ja auch irgendwie beruhigt.

Und ebenso wenig übernahmen sämtliche Sowjetmedien unkritisch die TASS-Meldung aus Woronesch:
Die Leute sind so müde und angewidert von der Realität,
schrieb das Reformblatt Ogonjok,
… dass sie in jede Tür rennen, die aus ihrer Welt rausführt, weg vom Schlangestehen, vom Schmutz, von Verbrechen, von leeren Läden.
Je schlimmer die Lage ist, desto größer die Chance, dass genau dort eine Ufo-Landung fällig ist. Das ist eine Periode wie vor der Oktoberrevolution, mit allerlei Zauberern, Wunderheilern, Leuten wie Rasputin.
Nur heißen die heute anders. Die Menschen haben so viele Sorgen in ihrem Leben und so wenig Vertrauen auf Besserung, dass Mystiker große Chancen haben.

Etwa so wie heute, nach drei Jahren Angriffskrieg gegen die Ukraine, Sanktionsdruck, Inflation und Selbstzweifel:
Numerologen, Astrologen, Schamanen, Wahrsager, diverse Magier und Heiler: Der Markt für okkulte Dienstleistungen in Russland boomt und erzielt Milliardenumsätze,
berichtet Daria Boll-Palievskaya von der Osteuroparedaktion des MDR.

Die aktuelle gesellschaftliche und politische Krise Russlands spiegelt sich in der Suche nach mystischen Antworten wider.
Fehlende Möglichkeiten, die Situation im Lande zu beeinflussen, und die wachsende Unsicherheit über die Zukunft lassen die Menschen nach Antworten in Tarotkarten, Horoskopen und schamanischen Ritualen suchen, während große Teile der politischen Elite diesen Trend bereitwillig fördert.
„Fördern“ ist noch untertrieben – denn ganz gezielt staffieren staatsnahe russische Medien wie das NTW-Netzwerk knorrige Provinzler als „Hellseher“ aus und lassen sie ermutigende Prognosen in die Kamera sprechen:

So sagte am 4. Juni 2022 in der Sendung New Russian Sensations ein 86 Jahre alter „Kampf-Hellseher des KGB“ namens Iwan Fomin aus Borisoglebsk (im Verwaltungsgebiet Woronesch) die Kapitulation von Wolodymyr Selenskyj und das Ende der „Spezialoperation“ in der Ukraine für den 17. September 2022 voraus.
Angeblich wurde Fomin am 20. September 2022 gefeuert, berichten russische Medien – aber der nächste Wahrsager trat schon wieder am 21. Januar 2023 bei New Russian Sensations auf.
Und dass Iwan Fomin von den kreativen Köpfen des Senders „unser Opa Wanga“ getauft wurde, hatte natürlich auch seinen Grund:

Denn die bulgarische „Seherin“ Baba Wanga (gestorben 1996) steht bei NTW hoch im Kurs, zu sehen etwa am 15. April 2023, am 24. Juni 2023, am 28. Oktober 2023 und am 23. Dezember 2023. Ihr werden Aussagen wie zum Beispiel
Jede Gegenmacht gegen Russland wird den Krieg verlieren und zugrunde gehen.
untergeschoben, und sowohl TV-Serien wie auch das russische Online-Projekt „The Great Encyclopedia of Vanga“ konservieren ihren Ruhm.

Worauf sich diese Verehrung gründet, ist einigermaßen rätselhaft. Denn wie soll jemand, der mit 16 Jahren vollständig erblindete, Prophezeiungen „bis zum Jahr 5079 aufgeschrieben“ haben?
Sie sprach in schwammigen Metaphern und mit einem sehr starken Dialekt und ich verstand kaum, was sie sagte,
erinnert sich der bulgarische Journalist Todor Ovtcharov an Wangelia Pandewa Guschterowa. Zu „Baba Wangas“ Ghostwriterin hob zunächst ihre Nichte Krasimira Stojanowa an, die eine gloriose Familienlegende um die hellsehende Großmutter strickte. Später sollen dann weitere Verwandte Orakelsprüche verbreitet haben, die von internationalen Medien aufgegriffen wurden:
Sie haben ihr alle Arten von Unsinn in den Mund gelegt,
erzählen ehemalige Nachbarn der Bulgarin.
Ihre angeblichen Prophezeiungen beruhen auf Hörensagen, es existieren weder authentische Quellendokumente noch belegbare Treffer. Und da es keinen schriftlichen Beweis für ihre Fähigkeiten gibt,
… sagt Frau Wanga das, was wir wollen,
beschreibt die französische Zeitung Journal Métro das Prinzip.
Und deshalb kursieren Jahr für Jahr frei erfundene „dramatische Vorhersagen“ (Merkur) der Bulgarin, die sich üblicherweise um Kriege, Krisen und Katastrophen drehen.
Nur verlassen sollte man sich darauf nicht – auch nicht die Propaganda-Knechte des Kreml:


Quellen:
- „Heute vor 26 Jahren: Ufo-Landung im russischen Woronesch“ srf (9. Oktober 2015)
- „Das UFO von Woronesch“ taz (10. Oktober 1989)
- „Ufos: Winziger Kopf“ spiegel (15. Oktober 1989)
- Boll-Palievskaya, Daria „Russlands Flucht ins Irrationale“ mdr (7. März 2025)
- Dornblüth, Gesine „Russlands Kampf gegen Okkultismus, Esoterik und Satanismus“ Deutschlandfunk (13. Februar 2025)
- Video: „Wahrsagerei im Krieg: Aberglaube in dunklen Zeiten“ ARTE (19. September 2024)
- „Jetzt schickt Putin einen Kampf-Hellseher des KGB in die Schlacht“ stern (12. Juni 2022)
- Maksimova, Ekaterina „Wizards in service of FSB. How propaganda uses psychics in political talk shows“ The Insider (27. Februar 2023)
- „Die schockierende Vorhersage des Großvaters Wanga“ kstati.dp.ua (6. September 2022)
- Horne, Mark „The strange hinterland of the long-dead Baba Vanga and her annual psychic predictions“ skeptic (12. Januar 2024)
- Ovtcharov, Todor „Die bulgarische Nostradamus“ fm4 (16. Dezember 2015)
- Harder, Bernd „Studientag in Augsburg zu Weltuntergangsvorhersagen“ skeptix (6. März 2025)
Titelfoto: Unsplash/Mick Haupt
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